Sie wollten Sicherheit und feste Zinsen. Doch sie bekamen komplexe Anlageprodukte - und verloren viel Geld.

Hamburg. Helga Ludwig* aus Ahrensburg ist keine arme Frau. Die HypoVereinsbank taxiert ihr Vermögen zusammen mit einer Immobilie auf knapp eine halbe Million Euro. Von ihrem Mann hatte sie ein großes Aktiendepot geerbt. Das möchte sie verkaufen. Eine Freundin rät ihr zu Bundeswertpapieren, die man kostenlos bei der Finanzagentur des Bundes statt im Bankdepot verwahren lässt. Für eine kleine Filiale der HypoVereinsbank im ländlichen Raum wäre diese Entscheidung ein großer Verlust gewesen. Für Frau Ludwig eine ideale Anlagestrategie, denn sie ist eine sicherheitsorientierte Anlegerin, wie aus ihrem Analysebogen bei der Bank hervorgeht. Regelmäßige Einnahmen und langfristiger Wertzuwachs sind als Anlageziele markiert. Das war 2004.

Zwei Jahre später ist sie nach dem Analysebogen der Bank schon eine spekulative Anlegerin, will kurzfristige Gewinnerzielung und sogar Steuervorteile, obwohl sie gar nicht steuerpflichtig ist. Klassische festverzinsliche Papiere, wie man für eine 73-Jährige Frau erwarten könnte, finden sich in ihrem Depot 2006 nicht. Ihre Aktien ist sie los. Statt der von ihr gewünschten Bundeswertpapiere ist das Depot nun voll mit Zertifikaten, die ihr bis heute Verluste im fünfstelligen Bereich eingebracht haben.

Bis Januar 2008, als die Finanzkrise ihren Lauf nimmt, hat Helga Ludwig rund 140 000 Euro in Zertifikate investiert - das sind zum Teil tückische Papiere. Vielen Anlegern erscheinen sie wie ein festverzinsliches Wertpapier, das regelmäßig Zinsen abwirft oder das am Ende der Laufzeit einen größeren Bonusbetrag bringt. Manche laufen über vier, fünf Jahre. Andere, sogenannte Expresszertifikate, suggerieren, dass das Geld schon nach einem Jahr zurückfließt. Sicher ist das nicht. In vielen Fällen geht der Anleger eine Wette ein, die sich Finanzprofis ausgedacht haben. Wenn die Anleger die Wette verlieren, drohen ihnen hohe Verluste. Experten schätzen den Gesamtschaden für Zertifikatebesitzer auf einen zweistelligen Milliardenbetrag - die wertlosen Lehman-Zertifikate machen davon nur einen Bruchteil aus. Als sich Frau Ludwigs Sohn Benjamin* in der Finanzkrise ihrer finanziellen Angelegenheiten annimmt, ist er entsetzt, weil sie nach ihren Bankunterlagen auch einen Totalverlust akzeptiert. Sogar Optionsscheingeschäfte hat sie getätigt. "300 Euro und 60 Euro Gebühren", sagt Benjamin Ludwig. "Mit 70 wurde ihr noch ein geschlossener Immobilienfonds für 30 000 Dollar verkauft, obwohl das Geld frühestens in zehn Jahren zurückfließt. Ihre Altersvorsorge wurde komplett angelegt, es gab keine Liquidität", wirft der Sohn der Bank vor.

Die zweiseitigen Analysebögen sind so angelegt, dass dort, wo die Unterschrift geleistet werden muss, nicht der Anlegertyp steht. "Ich habe immer nur die zweite Seite zur Unterschrift vorgelegt bekommen", versichert Helga Ludwig. "Und ich wollte kein Geld verlieren." Zu Einzelheiten will die Bank wegen der rechtlichen Auseinandersetzung nicht Stellung nehmen. "Aus heutiger Sicht können wir keine fehlerhafte Beratung feststellen", sagt Hypo-Vereinsbank-Sprecher Rainer Wünsche. Frau Ludwigs Anwalt sieht das anders. "Ihr wurden immer wieder Zertifikate angedient, ohne die Produkte im Ansatz vernünftig zu erklären", sagt Kai-Axel Faulmüller von der Kanzlei Hahn Rechtsanwälte.

Die Banken stehen unter einem schlimmen Verdacht: vor allem ältere Anleger aus sicheren Sparanlagen in die Zertifikate gelockt zu haben. 400 000 solcher Papiere gibt es in Deutschland. In vielen anderen Ländern, darunter den USA, sind sie wegen ihrer komplexen Struktur und ihres Risikos für Kleinanleger verboten. "Ältere Leute sind leichte Beute für die Banken, weil sie ein großes Vertrauen zu den Bankmitarbeitern haben", sagt Gabriele Schmitz von der Verbraucherzentrale Hamburg. Auch Frau Ludwig vertraute ihren Beraterinnen wie ihrem Arzt.

"Bei den mir vorliegenden rund 300 Fällen habe ich festgestellt, dass die vorwiegend älteren Anleger häufig von einlagengesicherten Produkten in ungesicherte Zertifikate hineinberaten wurden", sagt der Hamburger Anwalt Ulrich Husack.

Brigitte Schönfeld*, Kundin der Dresdner Bank, hatte einen Goldbarren und rund 90 000 Euro Festgeld. Jetzt hat sie Zertifikate, einen exotischen Aktienfonds und hohe Verluste. "Die 78-jährige Frau, die im Pflegheim lebt, im Rollstuhl sitzt und deren Sehstärke nach einer Augenoperation stark eingeschränkt ist, ist auf das angelegte Geld zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts angewiesen", sagt Faulmüller. "Sie hatte sich nur sichere Anlagen gewünscht." Die Papiere wurden ihr am Telefon verkauft. "Schon die Umstände sprechen für eine Falschberatung", sagt Faulmüller. Die Dresdner Bank bestreitet das.

Auch der 72-jährige frühere Kaufmann Joachim Launhardt, der auf Anraten der Sparkasse Harburg-Buxtehude über 650 000 Euro in ein Zertifikat investierte, wie er sagt, tappte in die Zertifikatefalle. Es sollte 9,5 Prozent Zinsen bringen. Vielleicht auch mal etwas weniger, habe der Berater gesagt. Doch der Zinsfluss versiegte bald für immer. Es war kein gewöhnliches Geschäft, eher ein überflüssiges. Wer Launhardt dazu brachte, ist umstritten.

Denn mit dem Geld aus einem Immobilienverkauf hätte eigentlich ein Kredit getilgt werden sollen. "Wir sind der festen Überzeugung, ausreichend beraten und alles gut dokumentiert zu haben ", sagt Andreas Sommer von der Sparkasse Harburg-Buxtehude. Das Zertifikat sollte mehr Rendite abwerfen, als Launhardt an Zinsen für den Kredit zahlen musste. So konnte er auch die Vorfälligkeitsentschädigung für die vorzeitige Ablösung der Kredite sparen. Nachdem das Zertifikat keine Zinsen mehr brachte, musste er monatlich 3000 Euro aus eigenen Mitteln für die Kreditraten aufbringen. Kein Dauerzustand. Deshalb verkaufte er das Zertifikat mit einem Verlust von 107 000 Euro, um einen Teil seiner Kredite abzulösen. Es ist das Vierfache der Vorfälligkeitsentschädigung, die er sparen wollte. "Mir ist nie in den Sinn gekommen, dass der versprochene Zinssatz nicht eingehalten werden könnte", sagt Launhardt. Jetzt will er gegen die Sparkasse klagen.

*) Namen geändert