Seit dreißig Jahren ziehen buddhistische Nonnen und Mönche in einem ehemaligen Einfamilienhaus Sinnsucher aus ganz Norddeutschland an. Schirmherr des Zentrums ist der Dalai Lama, auf dessen Hamburg-Besuch man sich hier besonders freut.

Ein warmer Abend, der die Seele streichelt. Aus den Gärten in den grünen Vorortstraßen zwischen Berne und Rahlstedt duftet es nach Sommer, Grillschwaden ziehen hier und da über die Hecken. Die gepflegten Einfamilienhäuser an der Hermann-Balk-Straße ähneln sich weitgehend, nur vor der Nummer 106 bleiben Spaziergänger manchmal stehen und wundern sich über bunte Stoffe, die da im Wind wehen, über Bilder des Dalai Lama in einem Schaukasten und über ein paar Dutzend Menschen, die in Gruppen oder allein diesem Haus zustreben.

Hier, in dieser bürgerlich-biederen Umgebung, die so gar nichts Exotisches vermuten lässt, nehmen Mönche und Nonnen aus Asien und Deutschland und ihre Besucher aus Hamburg und oft auch von weither "Zuflucht zum Buddha und seiner Lehre". So heißt es in einem der Gebete, die nachher unter Anleitung eines tibetischen Lehrers gesprochen werden. Der sanfte Boom, wie die Erfolgsgeschichte des Buddhismus im Westen oft genannt wird, lässt auch in diesem Tibetischen Zentrum immer mehr Neugierige auf die Suche nach östlicher Weisheit, Ruhe und innerem Frieden gehen.

Es ist Dienstagabend, kurz vor sieben. Wie immer an diesem Wochentag und um diese Zeit treffen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Altersgruppen zu Meditation und Mantras, ziehen sich im Vorraum zur Meditationshalle ihre Schuhe aus, suchen sich Kissen oder Hocker, setzen oder knien sich auf den Fußboden und warten auf Geshe Pema Samten, den tibetischen Lehrer und spirituellen Leiter des Zentrums. Neben Sympathie für das Schicksal Tibets und allgemeiner Sinnsuche sind es für viele vor allem die Säulen der buddhistischen Lehre - Güte, Freude, Gleichmut und ganz besonders Mitgefühl -, die sie nach Rahlstedt geführt haben, manche zum ersten Mal, andere gehören zum sanften Kern.

Tilla zum Beispiel, Arzthelferin aus Harburg. Sie kommt seit 14 Jahren regelmäßig ins Zentrum, war schon mehrmals in Tibet, auch in Dharamsala, dem indischen Exil des Dalai Lama. Auch Melanie, eine Sozialarbeiterin aus der Nachbarschaft, mit ausgeprägtem Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte in aller Welt, nennt sich seit drei Jahren "überzeugte Buddhistin". Heute hat sie eine Freundin und deren Tochter mitgebracht. Angela, kaufmännische Angestellte, ist gespannt auf den Abend, sie hat einiges über den Dalai Lama gelesen, weiß aber wenig über Buddhas Lehre. Und Tatjana, ihre 15-jährige Tochter, bringt außer gemäßigter Neugier und altersüblicher Skepsis wenig mit: "...mal sehen, was das wird..."

Schon zum vierten Mal in Hamburg

Der Meditationsraum, der einmal das Hallenbad der Vorbesitzer war, ist eng besetzt. Etwa siebzig Besucher sind gekommen, nur zwölf von ihnen sind Männer. Hans, einem 50-jährigen Lehrer aus dem Umland, gefällt an Buddhas Lehre "die klare Logik, die Ansprache an Herz und Kopf gleichermaßen und die Friedfertigkeit dieser Religion, die niemandem ihre Weisheit aufdrücken will. Das bestätigt ja oft genug auch der Dalai Lama."

Der 14. Dalai Lama, langjähriger Schirmherr des Zentrums, war schon viermal in Hamburg. Man weiß, dass er diese tolerante Stadt mag. Nach Rahlstedt aber wird er diesmal nicht kommen. Zuletzt hat er 1991 die Einrichtung an der Hermann-Balk-Straße besucht, gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Universalgelehrten Carl-Friedrich von Weizsäcker. Sein persönliches Interesse am Zentrum, aber auch die geistlichen Leiter aus seiner Heimat und deren westliche Schüler, haben zum überregionalen Ruf der Einrichtung beigetragen.

Außer Geshe Pema Samten, dem Spiritus Rector, wohnen noch ein Mönch und zwei Nonnen im Hamburger Haus der Tibeter. Eine weitere, sehr bekannte Bhikshuni, so der Titel tibetischer Nonnen, Carola Roloff, hat sich in die Nachbarschaft zurückgezogen, um in Ruhe ihre Doktorarbeit über einen tibetischen Meister aus dem Mittelalter zu beenden. Sie, die seit fast dreißig Jahren dem Zentrum verbunden ist, engagiert sich für die Stärkung der Frauen in den buddhistischen Orden. Gerade hat sie, im Vorfeld des Dalai-Lama-Besuchs und gemeinsam mit dem Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg, einen Kongress zu diesem Thema organisiert.

Kraft sammeln und den Geist klären

Die Schiebetüren an der langen Fensterfront sind weit geöffnet, lebhaftes Vogelgezwitscher fliegt herein und lässt die beruhigende Stille in der Halle noch ein bisschen fröhlicher wirken. Aus dem ehemaligen Schwimmbad ist längst ein würdiger Tempel geworden, mit einem großen, gemalten Rad der Lehre an der Decke, mit vielen Buddhafiguren, tibetischen Rollbildern (Thangkas) und Fotos des Dalai Lama und anderer tibetischer Würdenträger. Der Geshe, der Lehrer in der dunkelroten Robe, geht lächelnd durch die Reihen, und setzt sich mit einem munteren "Tashi Delek", dem Gruß der Tibeter, vor seine aufmerksamen Besucher, "...möge es euch wohlergehen".

Frank Dick, der Übersetzer, stellt sich, den tibetischen Geistlichen und das Programm vor: Man werde heute mit Gebeten und Mantras, das sind geheiligte Silben, die Konzentration fördern, Kraft sammeln und den Geist klären. In einer Art Singsang nehmen der Geshe und seine Gäste "Zuflucht zum Buddha, zur Lehre und zum Sangha, der Gemeinschaft der Gläubigen". Der Meister, dessen Lächeln tief aus dem Inneren zu kommen und die Besucher auf spirituelle Weise zu verzaubern scheint, schlägt zwischendurch mal ein Glöckchen, mal einen Gong an. Draußen bringt frischer Wind die bunten Gebetsfahnen in Schwung. Eine Stupa im Garten, ein buddhistisches Heiligtum mit einer weißen zwiebelförmigen Kuppel, zieht als erstes die Blicke aller Besucher auf sich. Jetzt hat die Abendsonne ihre goldene Spitze in magisches Licht getaucht. Glyzinen, Hortensien und norddeutsche Bauernblumen rahmen auch einen Schrein des Maitreya ein, der dem Buddha der Zukunft gewidmet und mit Gebetsmühlen und tausend kleinen Figuren des Erleuchteten geschmückt ist.

Buddhas Lehre bis in den Abend

Maria Viktoria Derenbach aus Wismar, ihr Bhikshuni-Name lautet Soenam Choekyi, und Lydia Müllbauer aus Bayern, die sich längst Thubten Choedroen nennt, genießen den lauen Abend. Die beiden Nonnen leben schon lange im Zentrum. Seit die ehemals katholische Lydia 1982 den Dalai Lama im Audimax gehört hat, hat es sie "gepackt." Maria hingegen ist erst auf Umwegen über Yoga und andere östliche Weisheitslehren zum Buddhismus gekommen. Beide sprechen längst tibetisch - fünf Jahre haben sie dazu gebraucht, jeden Tag fünf Stunden geübt - lehren den "Stufenweg zur Erleuchtung", leiten Arbeitskreise oder führen in Meditationen ein. Sie selber beginnen jeden Tag mit Meditation und studieren, wenn sie keine Seminare leiten, Buddhas Lehre bis in den Abend.

Im Tempel ist es inzwischen ganz still geworden. Der Geshe hat seine Augen geschlossen und die Besucher zum Betrachten ihres Atems aufgefordert, nicht schneller dürfe er werden, auch nicht langsamer. Man möge ebenfalls die Augen schließen und den Atem ganz konzentriert, ganz ruhig fließen lassen. Mit einem Gong beginnt die Übung, und wer trotzdem mal nach vorn schaut, sieht das Lächeln des gelehrten Mannes mit der roten Robe, das so viele Gäste glücklich macht.

Noch ein paar Gebete singen, einige Mantras murmeln, danach verständliche Aussagen über das Leid und seine Ursachen, über die Stabilisierung des Geistes und den Weg der Mitte, ein letztes Widmungsgebet, "Möge der Dalai Lama, der große Ozean des Wissens und Halter der Lehre, lange leben". Dann schlägt der Geshe wiederum den Gong an, sagt Dankeschön auf Deutsch, verabschiedet sich lächelnd und lässt eine aufgeräumte, fröhliche Stimmung zurück. Tatjana hat den Lotussitz über anderthalb Stunden ausgehalten, "wenn schon, denn schon". Die Realschülerin fand den Abend "anstrengend, aber cool, ehrlich". Sie will vielleicht wiederkommen, ihre Mutter "sowieso". Und Melanie, die, wie alle anderen, ihre Schuhe wieder angezogen hat, lächelt nur, fast so wissend und fröhlich wie der Geshe.

Die Vögel singen zurückhaltender als vorhin, über dem Garten hängt ein Hauch von Spiritualität, gemischt mit dem Restgeruch vom Grill nebenan.

Tibetisches Zentrum

Hermann-Balk-Str. 106, 22147 Hamburg, Telefon 6443585