Es war der größte Bibliotheksbrand seit dem Zweiten Weltkrieg. Für viele Einwohner Weimars sind die Geschehnisse aus dem Spätsommer 2004 bis heute unvergessen. In einem knappen halben Jahr soll das historische Gebäude der Bibliothek wiedereröffnet werden.

Überall ist Staub. Er quillt aus offenen Türen und Fenstern. Bedeckt den Boden, Treppenstufen und Regale. Der Lärm von Bohrmaschinen und Sägen dringt durch das ganze Haus. Es riecht nach Sägespänen und Lack. Handwerker auf Leitern schleifen alte Farbreste von den Balken. Streichen die Fensterrahmen weiß. Andere laufen hin und her, tragen Baumaterial durch das Haus. Die Restaurierung der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar ist in vollem Gange. Am 24. Oktober, dem 268. Geburtstag der Namensgeberin, soll das Gebäude am Platz der Demokratie wiedereröffnet werden. "Ein ehrgeiziges Ziel", sagt Sabine Wenzel von der Klassik-Stiftung Weimar, zu der die Einrichtung gehört. "Denn die Arbeiten sind aufwendiger als wir dachten."

Der Grund für die Restaurierung liegt zweieinhalb Jahre zurück: In der Nacht vom 2. auf den 3. September 2004 stand das Grüne Schloss, wie das historische Gebäude der Bibliothek genannt wird, in Flammen. Vermutlich ein defektes Kabel hatte ein Feuer im Dachstuhl ausgelöst. Es sollte der größte Bibliotheksbrand in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg werden - und für viele Einwohner Weimars eine bis heute unvergessene Nacht.

"Jedes Mal, wenn ich an den Brand denke, spüre ich das heiße Löschwasser auf meiner Haut", sagt Stefan Wolf, seit Juli 2006 Oberbürgermeister der Stadt. "Und ich erinnere mich genau an den beißenden Qualm und an den kalten Wind, der durch das zerstörte Dach hereinfegte." Der SPD-Politiker war auf einer Parteiveranstaltung über den Ausbruch des Brandes informiert worden und sofort zur Bibliothek gelaufen. Als einer der ersten vor Ort organisierte Wolf, damals noch Bürgermeister der Stadt, die Rettungsaktion mit. Und entschied nach Absprache mit Statikern und Feuerwehr, trotz des sich ausbreitenden Feuers, sofort ins Gebäude zu gehen. "Wenn wir gewartet hätten, wäre womöglich alles verloren gewesen."

Auch Bibliotheksdirektor Michael Knoche war schnell vor Ort. Um 20.29 Uhr erhielt er zu Hause den alarmierenden Anruf eines Mitarbeiters: "Die Bibliothek brennt. Ich weiß nicht, ob Sie kommen wollen." Knoche zögerte keine Sekunde, obwohl es in der Vergangenheit immer wieder Fehlalarm gegeben hatte. Machte sich sofort auf den Weg und erreichte wenig später mit seinem Fahrrad den Platz der Demokratie. Ihm bot sich ein Bild, das er "nie wieder vergessen" wird: Dicke Rauchschwaden über dem Dach, zwanzig Meter hohe Flammen, Feuerlöschzüge mit Blaulicht, Polizeiabsperrungen, dicke Wasserschläuche auf der Straße und zwischendrin aufgeregte Menschen. "Mein erster Impuls war, umzukehren und in die Dämmerung des Parks an der Ilm einzutauchen, um nicht wahrhaben zu müssen, was ich sah", sagt Knoche.

Doch er riss sich zusammen, kämpfte sich ins Innere des Gebäudes und begann, gemeinsam mit anderen Helfern, einzelne Kunstwerke und Bücher aus dem Haus zu bringen. "Schnell wurde uns aber klar, dass wir die Bücher nicht auf den Platz tragen, sondern sie gleich durch den Keller in das gerade fertiggestellte unterirdische Tiefenmagazin bringen konnten." Immer mehr Menschen kamen und boten ihre Hilfe an. Gegen 21.10 Uhr schlugen plötzlich explosionsartig Flammen aus dem Dachstuhl. Und mit ihnen einzelne Buchseiten in die Luft und über den Platz. Die oberen beiden Stockwerke der Bibliothek standen jetzt komplett in Flammen.

Diese Bilder sahen Knoche und Wolf jedoch erst später, im Fernsehen. Zusammen mit Sabine Wenzel von der Klassik-Stiftung und anderen Helfern transportierten sie zu dieser Zeit in einer Menschenkette alle Bücher, die sie greifen konnten, in das unterirdische Lager. "Mir standen die ganze Zeit diejenigen Bücher vor Augen, die gerade verbrannten und die wir nicht mehr retten konnten", sagt Knoche. "Wir alle haben mechanisch weitergemacht. Und nichts um uns herum wahrgenommen."

Trotz des beinahe zwölfstündigen Einsatzes der Helfer verbrannten in dieser Nacht mehr als 50000 Bücher. Weitere 62000 wurden durch Flammen, Hitze oder Löschwasser zum Teil stark beschädigt. Die beiden obersten Stockwerke des Gebäudes brannten fast vollständig aus. Insgesamt betragen die Kosten für die Restaurierung von Haus und Büchern rund 67 Millionen Euro.

Die zwölf Millionen Euro teure Sanierung des Gebäudes haben der Bund und das Land Thüringen übernommen. Die Arbeiten gestalteten sich jedoch als sehr aufwendig. Allein das Trocknen von Mobiliar und Wänden dauerte 18 Monate. Erst im Juni vergangenen Jahres konnte deshalb mit der eigentlichen Renovierung der Bibliothek begonnen werden. Das oberste Stockwerk wurde komplett neu aufgebaut, das Dach gedeckt, neue Elektroleitungen verlegt, ein Fahrstuhl sowie eine moderne Sprühnebel-Löschanlage eingebaut.

Zurzeit sind die meisten Handwerker im Rokokosaal beschäftigt. Der historische Dielenboden ist zum Schutz mit dickem grauen Teppich und Holzbrettern abgedeckt. In der Mitte des Raumes ragt ein Baugerüst bis unter das Dach. Plastikfolie umhüllt die ersten bereits gestrichenen Regale. Überall liegt Werkzeug herum. Eine junge Handwerkerin mit Schutzmaske bestreicht Balken mit Holzöl. Ein Zimmermann passt rekonstruierte Leisten in die Balustrade ein. Bis zur Wiedereröffnung im Oktober ist noch viel zu tun.

Die Beschaffung und Wiederherstellung der Bücher gestaltet sich noch aufwendiger. Bislang spendeten Privatpersonen und Stiftungen dafür 10,5 Millionen Euro. Rund 50 Millionen Euro werden insgesamt dafür benötigt. Die Klassik-Stiftung rechnet mit durchschnittlich 400 Euro Restaurierungskosten je Buch. "Vereinzelt werden wir bis zu 4000 Euro bezahlen müssen", so Knoche. Die meisten beschädigten Bücher lagern derzeit in einem Sondermagazin der Bibliothek. Sie wurden im Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig gefriergetrocknet und sollen bis zum Jahr 2015 aufgearbeitet werden. Jene, die vollständig verbrannten, versucht die Klassik-Stiftung durch Auktionskäufe und Sachspenden wiederzubeschaffen.

Doch auch wenn Gebäude und Bücher in einigen Jahren wieder vollständig restauriert sein werden, das Verhältnis der Einwohner Weimars zu ihrer Bibliothek hat sich für immer verändert. So horcht Oberbürgermeister Stefan Wolf auch jetzt noch auf, sobald er eine Sirene hört. Bibliotheksdirektor Knoche kämpft jedes Mal, wenn er die Stadt verlässt, gegen seine Furcht, die Bibliothek könnte abbrennen. Und Sabine Wenzel hat, sobald sie das Gebäude betritt, den Brandgeruch wieder in der Nase.