Der Chefinspizient des Schauspielhauses, Olaf Rausch, hat ein spezielles Verhältnis zur Bühne und kritisiert die Hamburger Kulturpolitik.

Rotherbaum. Ja, er ist wirklich mit dem Radl da, wie es so schön in diesem Fastnachtshit heißt. Olaf Rausch, seit 25 Jahren Inspizient, also Hauptkoordinator für die Theatervorstellungen, am Schauspielhaus, ist ein Dauerradler. Wetterunabhängig. Nur nach Karneval ist ihm nicht zumute. Denn das, was sich in der Hamburger Kulturpolitik abspielt, gehe ihm echt an die Substanz, sagt er. Sei Respektlosigkeit und Missachtung. Der Beweis dafür, dass Hamburg keine Kulturstadt, sondern eine Hafenstadt sei. Dazu könne er noch einiges mehr sagen.

Doch erst einmal bestellen wir im Café Solo an der Rutschbahn Cappuccino. Der lange Olaf, wie er in Hamburg wegen seiner Länge von 2,03 Metern liebevoll genannt wird, zeigt sich trotz Herbstwetters erstaunlich kurzärmelig. Radfahren halte gesund und warm, sagt er und wirft sich mit Verve in sein Lieblingsthema - das Theater. Er sei schlicht theaterverrückt.

In Kiel gleich neben dem Festplatz wuchs er auf, ging schon als Vierjähriger mit seinem Vater, einem Schneidermeister, der im Extrachor der Kieler Oper sang, in jede Aufführung. Vom "Barbier von Sevilla" über "Parsifal" bis zu den "Meistersingern". Baute sich aus Legosteinen, Küchen-Pergamentpapier, der Pappe von SPD-Wahlplakaten kleine Theaterbühnen. Machte Marionetten und sein Zwergkaninchen zu Akteuren. Das alles sprudelt er nur so heraus. Rausch will sich die Entstehung dieser einzigartigen Liebe von der Seele reden. "Das mit dem Inspizienten erzähle ich Ihnen gleich", sagt er knapp. Jetzt komme erst noch das, was er als Schüler gemacht habe: Statist beim NDR in Filmen wie "Tadellöser & Wolff", "Tatort", Ankleider am Kieler Schauspielhaus. Und, sagt er, rutscht auf dem Stuhl weiter nach vorne, hebt den Zeigefinger, jetzt beginnt's!

Olaf Rausch ist ein liebenswerter Pedant, ein stoischer Punkt-für-Punkt-Abhaker eines im Kopf vorgezeichneten Skripts für dieses Gespräch. Mit intensivem, festnagelnden Blick und bezwingend leiser Stimme.

1978 hat er einen Vertrag als Zahntechniker in der Tasche. Doch dann kommt das Theater dazwischen. Der alte Inspizient fällt neben ihm um während der Proben zu den "Drei Schwestern". Olaf, versuch du das mal, sagt Intendant Horst Fechner. Und dann, nach seinem erfolgreichen Debüt: Olaf, du hast das Feeling, mach das mal weiter. Und Olaf bleibt. Lernt sechseinhalb Jahre an den Bühnen der Landeshauptstadt Kiel alles von der Pike auf. Theater, Oper, Ballett. Findet seinen Traumberuf: Inspizient, der Mittler zwischen sensiblen Künstlern und Technikern von härterer Gangart. Ein Macher am Inspizientenpult, der Inspizientenbücher wie eine Partitur liest, übers Headset Einsätze gibt. Da ist er schon am Hamburger Schauspielhaus, wird 1993 zum Chefinspizienten. Ein Titel, auf den er stolz ist. "Davon gibt es nur wenige in Deutschland."

Ein einziges Mal nur verpasst er eine Aufführung. Liegt im Krankenhaus. Beim "Käthchen von Heilbronn". Und da stürzt doch tatsächlich ein Plafond zu früh auf die Bühne! Drei Sätze zu früh! Der Schauspieler wird in letzter Minute von einem Kollegen weggerissen. Der Olaf hat halt gefehlt, hieß es. Dieses eine Mal nur. "Mir müsste man schon den Kopf abhacken, um bei einer Vorstellung zu fehlen", sagt er nachdrücklich. Rührt versonnen im Cappuccino. Er könne ohne Theater nicht leben. Aber er hasse es auch, gesteht er. Erzählt von diesen Abenden, in denen er in der Küche sitzt und sich verzweifelt - auch unter Tränen - fragt, warum er sich das alles antue. "Wir haben ja auch viel Schrott gemacht in den letzten Jahren." Und er weiß, dass er da durchmuss, weil es mit der Liebe halt so ist.

Sieben Intendanten hat er schon erlebt, ist sauer auf Friedrich Schirmer, der einfach hingeworfen hat, die Schauspielhausfamilie in einer schwierigen Situation im Stich ließ. Gesteht, dass er vor zwei Jahren ein Angebot vom Wiener Burgtheater abgelehnt hat. Nach vielen schlaflosen Nächten. Er liebe Hamburg, brauche das Meer, könne zur Entspannung stundenlang an den Landungsbrücken sitzen und aufs Wasser gucken oder am Strand von Scharbeutz aufs Meer oder bei Hagenbeck Elefanten und Pinguine beobachten.

Also gibt es ihn doch, den privaten Olaf Rausch. Aber ja, er habe doch zwei Leben, sagt er. Das Theater und seine Familie. Ehefrau Anja, die ihn vor 14 Jahren wie ein Blitzschlag traf, als er gerade dabei war, sich ein Jahr Auszeit vom Theater zu nehmen, um mit dem ehemaligen DDR-Zirkus Berolina als Mann für alles auf Reisen zu gehen. "Das wäre mein Ding gewesen", sagt er. Aber die Liebe! Anja, die Flugbegleiterin mit dem großen Verständnis für seine zeitraubende Geliebte, das Theater.

Die ihm den Rücken freihält, seitdem sie nach der Geburt von Tochter Cara ihren Beruf aufgab. Die auffängt, was er im Theater in sich hineinfrisst und zu Hause abmuffelt. Der schwarze Mops Sisi gehört auch noch dazu.

Der Dom, sagt er nach einer Pause, das Schaustellergewerbe, diese Atmosphäre, der Duft, das Lichtermeer, ja, auch das sei seine Welt. Als Schüler arbeitete er in einer Wurfbude. Verdiente sich sein erstes Fahrrad. Seine erste Wohnungseinrichtung in Hamburg erzauberte er sich. Mit in der Zeitung annoncierten Zaubershows.

Was da doch alles so zutage kommt. Nach zwei Stunden. Rausch lacht. Erzählt, dass jetzt die harte Zeit beginnt, ab November, mit 35 Vorstellungen im Monat. Aber auch die schönste. Jede Vorstellung ausverkauft. Begeisterte junge Zuschauer. Und er auf der Bühne. Als Polizist in "Pünktchen und Anton". Beim Tanz mit der dicken Berta singt er den "Schupo-Song". Und dann radelt er wieder los. Zur Kirchenallee. In seine Welt. Eine arg bedrohte Welt. Seit den Sparplänen des Senats.