Wenn gespart werden muss, schauen viele begehrlich auf den kleinen Etat für Kultur. Wer da kürzt, beschädigt die Seele der Stadt.

Hamburg. Mehr als zehn Millionen Euro sollen, so hört man im Vorfeld der Haushaltsklausur des Senats am 27. und 28. Oktober, aus dem Kulturetat für 2010 herausgeschnitten werden. Zum gesamten Sparkonzert von über 100 Millionen Euro ein moderater Beitrag, wird mancher sagen. Die Wahrheit ist: Das wäre eine Katastrophe.

Viele Kulturinstitutionen, die staatliche Unterstützung erhalten, pfeifen längst auf dem letzten Loch. In den Theatern, etwa im Schauspielhaus, wird gegen eine marode Technik angespielt. Sie sind durch ihre festen Kosten so geknebelt, dass der Raum für die kreative Leistung immer kleiner wird. Hamburgs Museumsstiftungen, formal unabhängig, sind dramatisch unterfinanziert und können von Ankäufen kaum noch träumen; große und international aufsehenerregende Ausstellungen sind so gut wie unmöglich. Und im Kleinen haben viele Kulturarbeiter nur deswegen noch nicht aufgegeben, weil wenigstens sie genau wissen, wie wichtig Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft sind.

Gerade erst schien Karin von Welcks beharrliche Aufklärungskampagne unter den Senatskollegen erste Früchte zu tragen: Der Kulturetat für 2009 und 2010 war - exklusive Elbphilharmonie - um sieben Prozent gewachsen, es wurden sichtbare Aufbau-Akzente gesetzt. Verstanden schien endlich, dass Kultur nicht bloß flüchtige Dekoration für einen angestrebten Imagewandel der Stadt sein kann (Stichwort: Musikmetropole), sondern Lebenselixier für die Bürger, die darin leben. Was für ein fatal unglaubwürdiger und demotivierender Schlingerkurs wäre es denn, das kurz darauf wieder zurückzufahren?

Gerade in der Krise wird deutlich, wie wichtig das staatliche Engagement in der Kultur ist und wie fragil die - in guten Zeiten sehr erfolgreiche - private Förderung sein kann. Dort, wo Sponsoren und Mäzene in der Folge der Wirtschaftskrise plötzlich zugeknöpfte Taschen haben (es sind zum Glück nicht alle), bleibt Museen, kleinen Theatern und Musikensembles, die sich darauf verlassen mussten, kaum noch Luft zum Atmen.

Vielleicht hilft ja rechtzeitig vor der Haushaltsklausur ein Blick in den schwarz-grünen Koalitionsvertrag: Dort steht: "Die Koalitionspartner sehen in der Kulturförderung eine nachhaltige Investition in die Zukunft unserer Stadt. Sie werden das lebendige und vielfältige kulturelle Angebot Hamburgs gemeinsam weiterentwickeln." Von Kaputtsparen steht dort nichts.

Das gilt für die Leuchttürme wie Elbphilharmonie, das Hamburg Ballett oder das Thalia-Theater ebenso wie für die Empfänger kleinster Fördersummen. Denn auch die kommen direkt dem sozialen Leben zugute und sind eine Investition in eine positive Befindlichkeit der Stadt. Beispiele gefällig? Das "Klingende Museum", in dem Jugendliche Musikinstrumente ausprobieren können, überlebt mit 15 000 Euro Zuwendung im Jahr, auch ein Kindertheater; ein Mädchenband-Festival mit 1500 Euro; das English Theatre mit 3000, ein Kindermusikfest mit 4000 Euro. Mini-Beträge bekommen Geschichtswerkstätten, Ausstellungen, Konzerte, Bücher, Vorträge. Unwichtiger Kleinkram? Nein - lebenswichtige Tropfen auf heißen Steinen. Hier sparen zerstört soziale Netzwerke und macht das Zusammenleben in der Stadt ärmer und kälter.

Dann also ein Großprojekt opfern - ein Museum, ein Theater, ein Orchester? Das Signal wäre schlicht fatal.

Die Finanzierung von Kultur darf kein Programm bloß für finanzielle Schönwetterlagen sein. Denn Kultur ist kein Luxus, sondern Investition in die Zukunft. Kultur gibt den Menschen Hoffnung, Vision, Lebenslust. Im Theater wächst die Fantasie von Kindern, mit dem Instrument lernen sie auch das Zuhören, Lesewelten öffnen Perspektiven, Geschichtswerkstätten geben die Verbindung zur eigenen Historie. Künstlerateliers und Übungsräume für Bands binden kreatives Potenzial. Ein Filmfest mit internationaler Beteiligung weitet den Blick, Konzerte können beglückende Erlebnisse sein, ein gelungener Theaterabend bewegt. Hier geht es nicht um Kosten, hier geht es um die Seele der Stadt. Schon deshalb gilt: Hände weg vom Kulturetat!

Gerade erst riet CDU-Haushaltsexperte Rüdiger Kruse: "Antizyklisch investieren, zusätzliches Kulturgeld in die Hand nehmen" - von 30 Millionen Euro war die Rede. Kruse sieht 350 Millionen Euro, die in den nächsten Jahren sukzessive durch eine Reform der Hamburger Behördenlandschaft eingespart werden können. Von 30 verschleuderten Steuermillionen in Hamburg spricht zudem der Bund der Steuerzahler. Da ist jede Menge Luft für Optimierung, die jeder versteht und gutheißt.

Wer jetzt im Sparreflex "Elbphilharmonie" ruft, vergisst, welchen Aufwind sie der Stadt über Jahrzehnte geben wird, wenn das neue Konzerthaus so klug bespielt wird, wie es jetzt in den ersten Konzerten der Generalintendanz zu spüren ist. Zum Glück ist der Bau längst über den Punkt gewachsen, wo man kleinmütig umkehren könnte.

Hamburgs Kulturinstitutionen sollten aber ihre Taktik aufgeben, einzeln zu jammern und zu hoffen, dass der Kelch gerade an ihnen vorübergeht. Sie müssen mit einer Stimme sprechen und laut einfordern, was allen Menschen in dieser Stadt zusteht.