Diplom-Geograph Michael Martin ist einer der führenden Wüsten-Fotografen der Welt. Schon als 17jähriger war er erstmals mit dem Mofa in der Wüste unterwegs. Sein Buch "Die Wüsten der Erde - 365 Tage" ist das offizielle Begleitbuch zum Jahr der Wüsten. Martin, 43 lebt in München. Er hat zwei Kinder.

JOURNAL: 2006 ist das Jahr der Wüsten. Was ist Ihr persönliches Anliegen?

MICHAEL MARTIN: Ich möchte mithelfen, eine Lobby für die Wüsten zu schaffen. Die Meere haben Greenpeace, um Wale, Robben und den Regenwald kümmern sich Organisationen - aber die Wüsten werden bei uns in der Öffentlichkeit als wüst und leer eingeschätzt, als Gegend, aus der wir unser Erdöl holen, in der wir unseren Atommüll entsorgen und unsere stillgelegten Flugzeuge abstellen, also im Grunde genommen als marginaler Raum. Dabei ist die Wüste die größte Naturlandschaftszone der Erde mit einer ungeheuren Artenvielfalt und einem enormen Spektrum an verschiedenen Lebensausprägungen. Und wo das Leben durch die Trockenheit besonders bedroht ist, da ist es auch besonders empfindlich. Dort dem menschlichen Wirken Einhalt zu gebieten oder zumindest Bewußtsein für die Probleme zu wecken, dazu kann das Jahr der Wüsten beitragen. Und ein bißchen auch meine Arbeit.

JOURNAL: Wir haben unter dem Begriff Wüste ein Bild vor Augen: die Sanddünen der Sahara, ein paar Kamele und Nomaden. Wie definieren Sie Wüste?

MARTIN: Natürlich gibt es diese Bilder, aber die Wüste ist eben viel mehr. Für mich ist sie ein Ort der Vielfalt, ein Ort des Lebens. Im Gegensatz zu den Wüsten auf dem Mars oder Mond sind unsere Wüsten ja nicht völlig tot, man muß nur genauer hinsehen. Ich sehe die Wüste vor allem als Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere. Die Menschen der Wüste stehen auch im Mittelpunkt meiner fotografischen Arbeit.

JOURNAL: Hat die Wüste einen Wert, den sich die meisten Menschen nicht klarmachen?

MARTIN: Zum einen ist die Wüste Lebensraum für Millionen von Menschen. Egal, ob sie traditionell als Nomaden und Oasenbauern leben oder im Kontext unserer hochtechnisierten Welt. Andererseits hat die Wüste enorme wirtschaftliche Bedeutung. Nehmen Sie das Lithium-Vorkommen in der Atacama-Wüste. Oder den Salpeter in Chile, um den im vorigen Jahrhundert Kriege geführt wurden. Dieser Rohstoff kann nur in der Wüste entstehen, weil es dort so trocken ist. Und schließlich: Erdöl kommt in der Regel aus Wüstengebieten.

JOURNAL: Sie sind ja schon früh der Faszination der Wüste erlegen. Was ist für Sie der Reiz dieser Landschaft?

MARTIN: Auf der einen Seite bin ich Geograph. Es ist faszinierend, die Natur zu erleben, ohne daß der Mensch sie umgestaltet hat und ohne daß Vegetation alles zudeckt. Da blättert sich die Erd- und Menschheitsgeschichte wie ein Buch vor Ihnen auf. Mitten in der Sahara finden Sie plötzlich Schalen, die darauf hindeuten, daß dort vor 7000 Jahren mal Menschen gelebt haben. Die andere Seite ist: Jeder Fotograf wird die Wüste als Eldorado für seine Arbeit empfinden, was das Licht und die Formen betrifft, aber auch die Motive und die Geschichten dahinter. Menschen in der Wüste sind durch die extreme Umgebung oft sehr starke Persönlichkeiten. Neben der Fotografie und Geographie spielt natürlich auch das Abenteuer eine Rolle. Wie es ein Bergsteiger spannend findet, durch die Eigernordwand zu steigen, so ist es auch in den Wüsten. Manchmal ist die Orientierung sehr schwierig, manchmal ist die Sicherheitslage prekär, auf jeden Fall es ist bis heute ein Abenteuer geblieben, eine Wüste zu durchqueren.

JOURNAL: Können Sie die Risiken kalkulieren?

MARTIN: Ich mache ja keinen Ego-Tip unter dem Titel "Abenteuer in der Wüste des Todes". Ich habe immer schon inhaltlich gearbeitet. Man kann in schwierige Situationen kommen, aber nie als Selbstzweck. Mit Erfahrung und Technik, zum Beispiel Satellitennavigation, kann man sich schützen. Leider gibt es in vielen Wüsten militärische, politische und Kriminalitäts-Probleme. Viele Gebiete in instabilen Ländern sind nur schwer zu kontrollieren. Im gesamten nördlichen Tschad liegen libysche Minen, in den afghanischen Wüsten sind die Taliban, in Mauretanien haben Sie Wegelagerer. Das alles kann eine Wüstenreise, wenn man blauäugig rangeht, gefährlich machen.

JOURNAL: Erzeugt die Wüste bei Ihnen auch spirituelle Gefühle?

MARTIN: Ich bin ein nüchterner Mensch. Die Wüste gibt mir ein Gefühl von Ruhe. Sie ist eine Gegenwelt zu unserem stressigen Leben.

JOURNAL: Gerade in diesem Raum sind monotheistische Religionen entstanden.

MARTIN: Das macht Sinn, weil der Mensch hier auf sich selbst zurückgeworfen ist. In der Wüste paßt es, daß es nur einen Gott gibt, weil man hier nicht hinter jedem Baum einen Geist vermuten muß.

JOURNAL: Einerseits ist die Wüste eine naturbelassene Landschaft. Andererseits führen Eingriffe des Menschen dazu, daß sich die Wüste ausbreitet . . .

MARTIN: Im Vergleich zur gesamten Fläche der Wüste fallen die Eingriffe des Menschen in der Wüste ja kaum auf. Die Desertifikation , die Ausbreitung der Wüste, findet an den Rändern statt. Mit der Desertifikation sind nicht etwa Ölsucher gemeint oder andere Spuren unserer westlichen Zivilisation, sondern die Nomaden und Ackerbauern, die am Wüstenrand leben. In der Sahelzone haben sie zu große Viehherden, zu viele Brunnen gebohrt, zu viel Brennholzeinschlag, weil es keine Alternativen an Energiequellen gibt, und weit in die Wüsten hineingetriebenen Bewässerungsfeldbau. Das alles schädigt die Vegetation - und schon kann sich die Wüste wieder um ein paar Quadratkilometer ausbreiten. Die zweite Ursache für die Ausbreitung der Wüsten ist der Temperaturanstieg durch den weltweiten Klimawandel. Dadurch werden die Trockengebiete noch trockener, weil die Verdunstung höher ist.

JOURNAL: Wie kann man diesen Trend stoppen?

MARTIN: Das ist schwierig. Eine Milliarde Menschen auf der Welt sind von der Desertifikation betroffen, das ist das größte ökologische Problem der Entwicklungsländer. Das fängt mit der Bevölkerungsquote an: Wenn Sie in einem Land wie Mauretanien drei Prozent Bevölkerungswachstum haben, wird sich die Bevölkerung in 25 Jahren verdoppeln. Das bedeutet: noch mehr Holzeinschlag, noch größere Tierherden, noch mehr Druck auf das Ökosystem. Es gibt ein paar kleine Ansätze: alternative Energiequellen, kleinere Viehherden. Aber jeder Nomade wird sagen, er braucht 200 Rinder, und wenn es eine Dürre gibt, sterben 90 Prozent, aber dann hat er wenigstens noch 20. Bei uns fährt ja auch jeder Auto, obwohl er weiß, daß es schädlich ist. Die Desertifikation gibt es seit Jahrzehnten. Aber das hat keinen Menschen in Europa interessiert, weil wir nicht davon betroffen waren. Jetzt interessieren wir uns auf einmal für den Klimawandel, weil wir langsam auch die Folgen spüren. Wir regen uns auf, wenn wir im Sommer nicht mehr den Rasen sprengen dürfen. Am Wüstenrand sind die Probleme existentieller. Und die sozialen Folgen sind katastrophal: Die Leute verlieren ihren Lebensraum, wandern in die Städte, landen in Slums, Familienstrukturen lösen sich auf.

JOURNAL: Je mehr die Wüste ins Blickfeld gerät, um so mehr Leute wollen dort auch mal hinfahren. Verkraftet das die Wüste?

MARTIN: Grundsätzlich schafft jede Form von Tourismus in der Dritten Welt soziale Probleme. Andererseits ist der "Wüstentourismus" in diesen riesigen Räumen eine verschwindende Größe. Die Eingriffe dieser Reisegruppen sind minimal. Außerdem sind viele Gebiete, die besucht werden können, nehmen Sie die Oase Chinguetti in Mauretanien oder Timbuktu, wichtige Einnahmequellen für diese armen Staaten. Man muß aber an das Verantwortungsbewußtsein der Reiseleiter und der Touristen appellieren - gerade in der Begegnung mit Wüstenbewohnern. Lieber mal auf Fotos verzichten und in guter Erinnerung bleiben.

JOURNAL: Wenn Sie eine Lobby für die Wüste vermissen, an wen denken Sie da?

MARTIN: Es spricht ja nichts dagegen, Wüstennationalparks auszuweisen und zu schützen. Vorbildlich ist da Namibia, die mit dem Nambi Naukluft Park oder dem Skeleton-Coast-Park zwei der größten Nationalparks der Welt geschaffen haben. Weil da wieder der Tourismus hineinspielt, kann es für ein Land interessant sein, Nationalparks auszuweisen. Andererseits kann man auch sagen, da verdrängt man die Nomaden aus ihrem Lebensraum. So ist es mit den Buschleuten in den Nationalparks in der Kalahari geschehen. Aber denken Sie an die Wüsten in Nordamerika, in den USA, die vorbildlich durch Nationalparks geschützt sind.

JOURNAL: Wann werden Sie wieder in der Wüste unterwegs sein?

MARTIN: Ich habe von 1999 bis 2004 die Wüsten der Erde bereist. Jetzt habe ich drei Winter lang Vorträge. Im Herbst 2007 werde ich dann wieder unterwegs sein und den Focus über die Trockenwüsten hinaus auch auf die Eiswüsten richten.

Michael Martin: Die Wüsten der Erde - 365 Tage. Frederking & Thaler, 365 Farbfotos (17\*24 cm); 34 Euro.

Diashow am 10. Februar 2007, Laeiszhalle Hamburg. Weitere Termine und Infos auf der Webseite www.michael-martin.de