In der Champagne beginnt nach der Weinlese die hohe Kunst der Kellermeister: 100 000 Helfer ernteten 416 Millionen Kilo Trauben der Sorten Chardonnay (weiß), Pinot Noir und Pinot Meunier (beide blau). Genug für rund 200 Millionen Flaschen Champagner. Wir waren dabei.

Die Sonne, das Wetter überhaupt meinte es in diesem Jahr wieder besonders gut mit unseren Trauben. Vor allem in den letzten Wochen vor der Ernte", schwärmt Champagner-Winzer Jean-Paul Boulonnais aus dem Ort Vertus, der sich selbstbewußt "Herz der Champagne" nennt.

In frühestens 15 Monaten, meist aber erst nach mehreren Jahren erst werden die Winzer in den rund 300 Weinorten (eingeteilt nach Cru, Premier und Grand Cru, bestimmt von der Qualität der Böden und Weinberge) der Champagne aus ihrem Trauben-Jahrgang 2005 den unverwechselbaren, prickelnden Champagner gezaubert haben. "A votre sante - Zum Wohl!"

Die Champagne mit Reims als größter Stadt (200 000 Einwohner) und rund 150 Kilometer nordöstlich von Paris gelegen, ist das Paradies für die Champagner-Rebsorten Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay: Ihre sanften Hänge fangen die Sonne des kontinentalen Klimas optimal ein.

Der kreidehaltige Untergrund der nährstoffarmen Böden sichert - trotz der 60 bis 80 jährlichen Frosttage - eine regulierte Wasserzufuhr. Langsame, stetige Reifung garantiert.

Ganze 0,5 Prozent der weltweiten Weinanbaufläche ist die Champagne klein - aber mit ihren 350 Quadratkilometern einmalig in ihrer Art. Champagner-Winzer Jean-Paul Boulonnais hebt sein Glas und stößt mit seinen Besuchern an: "Deshalb darf auch nur der Schaumwein aus unserer Champagne Champagner heißen."

Der blinde Mönch Dom Perignon, zwischen 1670 bis 1715 Kellermeister der Abtei Hautvillers (Champagne), brachte als erster den Wein der Champagne zum Schäumen. Und Genießer auf den Geschmack: zuerst Königshäuser in aller Welt, dann immer mehr das "Volk". Heute lassen sogar gewiefte Discount-Kunden zum 11,99-Euro-Niedrigpreis Champagner auf ihrer Zunge perlen. Aldis Champagner "Veuve Durand" kommt von Boulonnais' Vertus-Kollegin: der tüchtigen Witwe Carol Duval des Hauses "Duval-Leroy".

Eine Flasche Champagner - fast majestätisch liegt sie da: mit goldener Manschette, die den Naturkorken und seinen Drahtkorb als Sicherung verbirgt. Mit phantasievollem Etikett, das auch Sorte und Geschmacksrichtung verrät: Brut, Demi-Sec, Rose, Cuvee - oder Jahrgangs-Champagner (aus Trauben einer erstklassigen Lage, einer einzigen Traubensorte und eines herausgehobenen Jahrgangs). Und selbstverständlich mit dem Namen des stolzen Champagner-Hauses. Der Boden jeder Flasche überrascht mit einer tiefen Wölbung nach innen: Damit kann der Champagner-Druck von bis zu 5 Bar (ein Autoreifen hat kaum mehr als 2 Bar) die Flasche nicht zum Explodieren bringen.

Rund 200 Millionen 0,75-Liter-Flaschen Champagner werden wohl aus der Trauben-Ernte 2005 entstehen. Vor dem Genuß aber kommt stets harte Arbeit in der Natur und in Winzerhallen und -Kellern: Allein für einen einzigen Hektar gehen Jahr für Jahr 750 Stunden Rebenpflege drauf. Der Pflege folgt im Herbst die Lese: 100 000 Helfer schoben sich in diesem Jahr im September rund 15 Tage lang von Rebstock zu Rebstock der 320 Quadratkilometer großen, zum Ernten freigegebenen Hügel. Per Hand (!) zwackten sie mit einer Spezialschere vorsichtig jede Traube einzeln ab und legten sie in kleine Körbe: insgesamt 416 Millionen Kilo! Von dort kamen sie in größere Körbe und dann in Transportkisten per Lastwagen zu den nahen Pressen der Winzer. "Es wird langsam, ganz behutsam gepreßt. So fließen nur der beste Saft und die besten Aromen heraus", erklärt Jean-Paul Boulonnais, dessen Sohn Frederic inzwischen der Junior-Chef ist. Sein Favorit ist die Chardonnay-Traube, aus der auch der Brut Blanc des Blancs entsteht.

In Gärkellern mit Edelstahltanks werden die Moste zuerst geklärt, dann zwei bis drei Wochen lang gegärt: Heraus kommt der "still" oder "klar" genannte Wein mit seinem jeweiligen charakteristischen Geschmack. Wenn die Weine vom Bodensatz getrennt sind, beginnen die Kellermeister oder -chefs von November an mit der Verkostung und Klassifizierung. Einzelne Qualitäten können - auch mit Reserveweinen früherer Jahrgänge - gemischt und aufeinander abgestimmt werden. Jetzt endlich darf der Wein ("Cuvee" ist die Mischung verschiedener Weine aus den blauen Traubensorten Pinot Noir, Pinot Meunier und der weißen Traube Chardonnay), mit Zucker und Hefen versetzt, in die Flaschen fließen.

Dann heißt es: Ab in den Keller damit. In kühlen und feuchten, oft viele kilometerlangen Kellergewölben bis zu 30 Metern unter den Weinberghügeln liegen die Flaschen in Reihen zuerst waagerecht - die zweite, dem Champagner eigene Gärung entwickelt sich. Bis zu neun Wochen kann diese Reifung dauern. Dabei setzen die Hefen aromatische Substanzen frei, bildet sich Kohlendioxid. Je nach Cuvee lagern die Flaschen oft noch Jahre.

Vorletzter Champagner-Akt: Die Flaschen werden nach unten geneigt und per Hand oder Maschinen bis zu acht Wochen lang einmal täglich Zentimeter für Zentimeter gedreht und immer mehr in eine vertikale Position gebracht. Die Hefe löst sich, gleitet in den Flaschenhals, wird mit minus 20 Grad vereist und schießt - durch den inzwischen natürlich entstandenen Druck - beim Öffnen aus der Flasche hinaus. Diese kleine entwichene Menge wird durch Reserveweine ersetzt ("Dosage" oder "liqueur d'expedition"): Damit hat der Champagner seine Geschmacksrichtung!

Und woran erkennt man guten Champagner? Einmal an der Art des Mousseux, also je feiner und zahlreicher die tänzelnden Perlen, um so besser. Und am Bukett: Champagner riecht nicht, er duftet, je nach Typ zart nach Blüten, Aprikosen, Äpfeln, Erdbeeren, Vanille oder Honig.

Zum Finale der Champagner-Herstellung bekommt die Flasche ihren Naturkorken mit Sicherungs-Drahtkorb, lagert weitere vier Monate und wird dann mit Halskrause und Etikett zum Versand verabschiedet - in alle Welt! Und dort lassen die Genießer weniger als alle zwei Sekunden einen Champagner-Korken knallen: in ihren Ohren der schönste Knall. A votre sante!