Faszinierender Blick in die menschliche Geschichte: Der britische Zoologe Desmon Morris schreibt über die Unterschiede der Geschlechter - und ihre Folgen.

Die nackte Eva" hat Desmond Morris sein neues Buch genannt. Berühmt geworden ist der scharfsichtige Engländer vor allem mit seinem Bestseller "Der nackte Affe" (1968), in dem er die Entwicklung vom Primaten zum Wesen mit dem aufrechten Gang schildert. Diese Beschreibung setzt der 76jährige jetzt fort. Obwohl sein Buch der Schönheit der Frau gewidmet ist, geht es um eine Bewertung der Geschlechter. Die Frau besitzt für Morris den "bemerkenswertesten Organismus auf unserem Planeten". Der Mann ist dagegen erbarmungswürdig ausgestattet, hat aber die Fähigkeit, durch Mut, Lust am Abenteuer und Risikobereitschaft die Welt weiterzubringen.

Der Zoologe und Verhaltensforscher genießt hohe internationale Anerkennung und kann Forschungsergebnisse verständlich vermitteln. In seinem Alterswerk bietet Morris noch einmal Haupterkenntnisse kompakt dar. Davon profitiert der Leser, der den Hintersinn der Evolution anschaulich erläutert bekommt. Für sämtliche Verhaltensweisen der beiden Geschlechter gibt es logische, aus der Evolution abgeleitete Erkenntnisse.

In den menschlichen Urhorden hatten Frauen von Anfang an das Sagen, auch wenn sie das schwächere Geschlecht waren. Doch sie bekamen die Kinder, kommunizierten mit anderen, wuchsen in soziale Verantwortung hinein, die auch noch das Schmiermittel einer Gesellschaft in der Marktwirtschaft ist. Der Homo sapiens hätte nicht überlebt, wäre er nicht auch weiblich gewesen. Denn sein männliches Pendant stand von Anfang an unter dem Bann der Neotenie, der Entwicklungsverzögerung.

Der frühgeschichtliche Mann wurde im wesentlichen nur zum Beschaffen von Nahrung und als Erzeuger gebraucht. Für höhere Aufgaben im Stammesverband, vor allem für die Aufzucht von Kindern, war er ungeeignet. Denn seine Mitteilungsfähigkeit war eingeschränkt, er hörte schlecht, litt unter einem miserablen Geruchs- und Tastsinn, war weniger auf die Erhaltung seiner Gesundheit bedacht und zog sich schnell tödliche Verletzungen zu. Dennoch ließ sein infantiler Entwicklungszustand ihn über das übrige Tierreich hinauswachsen. Der angeborene Spieltrieb des Mannes führte zur Erkundung der Erde und ihrer Gestaltung. So hat der Mann seinen Anteil zur Kultivierung geleistet.

Aber ohne die Frau wäre es nie dazu gekommen. Sie verstand es, das Grobschlächtige des Mannes zu veredeln, durch Lob, Ermutigung, aber auch strikte Kontrolle seine Findigkeit und Abenteuerlust in richtige Bahnen zu lenken und sich dabei anzupassen. "Männer verhielten sich mehr und mehr in kindlicher Weise", stellt Morris klar, "wobei sie weniger körperliche Veränderungen durchliefen. Frauen entwickelten mehr und mehr kindliche Körpermerkmale, dabei aber weniger kindliche Eigenschaften im Geistigen."

Fazit: Die Frau wandelte sich zum klugen Riesenbaby. Ihr doppelt hoher Fettanteil verleiht ihr bis ins Alter ein weicheres, anziehenderes Aussehen. Dazu tragen auch ihre feineren Knochen bei, die ihr kein grobes Aussehen verleihen. Und alles, was rund ist an der Frau - von Brüsten bis zum Po, von Waden bis zu Oberarmen - ist entwicklungsgeschichtlich dazu da, das männliche Begehren zu mobilisieren.

In 22 Kapiteln und mit seiner ganzen Detailkenntnis führt Morris den Körper der "nackten Eva" vor. Alles wird durchgenommen: Haare, Lippen und Bauch, Wangen und Genitalien, Augenbrauen und Schamhaar. Mit einem ungeheuren Wissensschatz an Erklärungen, aber auch mit trockenem englischen Humor zeigt Morris, worin sich die Frau von der Strategie ihrer Verführung bis zum Erleben des Orgasmus vom männlichen menschlichen Tier unterscheidet. Das ist lesenswert. Und am Ende steht fest: Das runde Riesenbaby ist die Siegerin der Evolution.

Desmond Morris: Die nackte Eva. Der weibliche Körper im Wandel der Kulturen. Aus dem Englischen übersetzt von Jochen Winter. Heyne Verlag München, 288 Seiten mit Fotos; 22 Euro.