In seinem Roman hat Thomas Brussig das Ende der DDR treffend beschrieben - in all seiner Brutalität, Komplexität und Komik. Ein Wahnsinnsbuch über eine wahnsinnige Zeit. Grandios.

Bei der Lektüre spürt man es wieder, dieses Gefühl, daß auf einmal nichts mehr so war wie vorher, daß fast alles möglich erschien. Ein Gefühl, für das es im Herbst 1989 keinen adäquaten Begriff gab, außer dem albernen Ausdruck hilfloser, glücklicher und staunender Sprachlosigkeit: Wahnsinn . Mit "Wie es leuchtet" hat Thomas Brussig ein Wahnsinnsbuch über eine Wahnsinnszeit geschrieben, keine Satire wie "Helden wie wir" oder "Am kürzeren Ende der Sonnenallee", sondern einen groß angelegten Roman das große Panorama eines Epochenwechsels.

Dafür hat er auf mehr als 600 Seiten eine Menge Personal versammelt, Schicksale geschildert, Lebensläufe skizziert und an manchen Stellen auch miteinander verknüpft, hat beschrieben, wie sich Menschen in einer Zeit verhielten, die völlig aus den Fugen geraten war.

Karl-Marx-Stadt und Ostberlin sind die wichtigsten Orte der Handlung, die im Sommer 1989 mit der Flucht Zehntausender DDR-Bürger über Ungarn einsetzt, die Demos, die Demontage der SED, den Fall der Mauer und die ersten freien Volkskammerwahlen schildert und nach der Währungsunion im Sommer 1990 endet. Zu- und Abneigung hat der Autor recht klar verteilt: Sympathische Hauptfigur ist Lena, eine ebenso schöne wie lebenskluge Physiotherapeutin aus Karl-Marx-Stadt, die mit einem selbstgedichteten Lied für wenige Wochen zur Heldin der Bürgerbewegung wird.

Nicht minder sympathisch ist "Lenas großer Bruder", ein Fotograf, mit dem Lena nicht wirklich verwandt, dafür aber geschwisterlich verbunden ist. Lenas großer Bruder, ein begabter Fotograf, lernt im Budapester Lager für fluchtwillige DDR-Bürger Leo Lattke kennen, in dem sich der Spiegel-Reporter Matthias Matussek wiedererkannt haben will - höchst unvorteilhaft porträtiert. Lattke, genialer Schreiber, aber ein eitler und zynischer Mensch, soll die ultimative Wendereportage für sein Nachrichtenmagazin schreiben und hat sich für Monate im Ostberliner Palasthotel eingemietet, eine der wenigen Nobelabsteigen der DDR.

Herr dieses Hauses ist der schwergewichtige Alfred Bundzuweit, ein unter Flatulenzen leidender ehemaliger Autobahn-Raststättendirektor. Neben all den Bankern, Wirtschaftsbossen, Geschäftemachern und Journalisten, die die Kaminbar des Palasthotels bevölkern, fällt einer besonders auf: der 19 Jahre alte Albino Werner Schniedel. Dieser gibt sich als Sohn des namensgleichen VW-Vorstandsvorsitzenden aus. Er sondiere "für einen Weltkonzern eine Volkswirtschaft", sagt er. Als einzige Legitimation dient ihm eine gefälschte Visitenkarte. Mehr braucht er aber auch nicht, um Alfred Bundzuweit zu beeindrucken, der ihm nun Kontakt zu allen wichtigen Wirtschaftsbossen der untergehenden DDR verschafft.

Hier kommt Brussigs satirisches Talent zwar voll zum Tragen, aber vor dem Hintergrund der Wende wirken die teilweise abstrusen Geschichten, die sich zum großen Teil im Palasthotel ereignen, ziemlich realistisch. Leo Lattke findet eine Gruppe Transsexueller, denen ihr Ost-Arzt noch vor der vollständigen Umwandlung ins andere Geschlecht gen Westen abhanden gekommen ist. Zum Personal des Hotels gehört auch der Zimmerportier Waldemar Bude, der in Wahrheit ein begabter Schriftsteller ist, nach Abschaffung der Zensur einen Roman aus der Schublade zaubert, der sofort im Aufbau-Verlag veröffentlicht wird.

Bude ist Thomas Brussig, der tatsächlich im Palasthotel als Portier gearbeitet hat. Auch sonst tauchen noch eine Menge Personen auf, deren Identität der Autor nur notdürftig verschlüsselt hat: Valentin Eich ist Schalck-Golodkowski, Fritz Bode ist Walter Janka, der "kleine unrasierte Dichter" läßt sich unschwer als Volker Braun erkennen, nur Dr. Erler, Cheflektor des Aufbau-Verlags, darf unter seinem echten Namen auftreten.

Weil Brussig so fesselnd zu erzählen versteht, findet der Leser immer aufs neue Interesse an den vielen Episoden, den biographischen Skizzen, den Verwicklungen und Verwandlungen - auch wenn es dem Autor je länger, desto unvollkommener gelingt, die Handlungsstränge einigermaßen zusammenzuhalten. Ein bißchen mehr Stringenz, ein paar Figuren, ein paar Episoden weniger, hätten dem Roman gewiß gut getan. Dennoch ist Brussig mit "Wie es leuchtet" ein außerordentlicher Roman gelungen, ein literarisches Panorama der Wende, die uns hier so komplex, so brutal und mitunter auch so absurd vorgeführt wird, wie sie tatsächlich gewesen ist.

Thomas Brussig: Wie es leuchtet. Fischer, 672 S.; 19,90 Euro.