Der schwarze Arbeiterheld John Henry und moderne Medienarbeiter, die Henry vermarkten wollen: Colson Whitehead verknüpft in seinem neuen Roman Geschichten aus dem alten und neuen Amerika.

Wer kennt ihn hier schon, den Mann mit dem Hammer in der Hand? In den USA, vor allem in der schwarzen Bevölkerung, kennt ihn fast jeder: John Henry, ein Arbeiter und ehemaliger Sklave, soll im 19. Jahrhundert als Tunnelarbeiter zum Wettkampf gegen eine Dampfbohrmaschine angetreten sein. Er gewann den ungleichen Kampf, bezahlte den Sieg aber mit dem Leben.

"Tall tales" nennen die Amerikaner Geschichten, in denen normale Leute über sich hinauswachsen und übermenschliche Züge annehmen. Etwas Übertreibung darf auch gern dabei sein. John Henry ist einer der bekanntesten dieser Volkshelden, der natürlich besonders den Schwarzen wichtig ist. Mann gegen Maschine, gute alte Handarbeit, die dem Fortschritt trotzt, aber doch nur einen Pyrrhus-Sieg erringen kann und dafür den höchsten Preis bezahlt -, das sind die Zutaten zum Mythos.

Um diesen sagenumwobenen Kerl dreht sich der Roman von Colson Whitehead. "John Henry Days" erzählt von einer Feier 1996 in Talcott, einer Kleinstadt in West Virginia, in der einst der Mann, von dem niemand weiß, ob er überhaupt gelebt hat, seinen Wettkampf ausgetragen haben soll. Der frühe Held der Arbeiterklasse wird mit einem Fest geehrt, Anlass ist das Erscheinen einer Briefmarke, die ihn mit seinem Hammer zeigt. Das Fest hat tatsächlich vor acht Jahren dort stattgefunden, die Umstände sind jedoch eine Erfindung des Autors.

Nach Talcott reist auch J. Sutter, ein schwarzer Journalist und Spesenritter, der unbedingt einen Rekord knacken möchte: Er will derjenige sein, der die meisten aufeinanderfolgenden Werbeauftritte - mindestens einen pro Tag - absolviert.

J. ist eine Art modernes Pendant zu John Henry, eine ironische Widerspiegelung, denn der Journalist ist keineswegs idealistisch, sondern ein zynischer Halbintellektueller, versessen auf Gratisgetränke und -essen bei den zahlreichen Werbeveranstaltungen, über die er berichtet. Pikanterweise erstickt er fast an einer übergroßen Portion Fleisch, die er gierig in sich hineinschaufelt.

Aber Whitehead erzählt mehr als diese eine Geschichte. Er berichtet auch über John Henry und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Schwarzen beim Eisenbahnbau 1871. Er stellt den Mann vor, der das Leben Henrys zu einer Ballade vertont hat. Wir lernen J.'s Kollegen kennen, einen Haufen abgebrühter Journalisten, die im Laufe der Zeit jeglichen Idealismus bei ihrer Arbeit hinter sich gelassen haben. J. knüpft auf dem Fest zarte Bande zu einer Frau, die zahlreiche Erinnerungsstücke, die ihr verstorbener Vater über John Henry gesammelt hat, möglicherweise dem Museum vor Ort vermachen will. Auch einige Honoratioren aus Talcott werden vorgestellt. Und dann ist da noch ein Mann mit einer Waffe, die abgefeuert wird, bevor der Roman endet.

"John Henry Days" ist ein enorm vielschichtiger Roman, in dem Colson Whitehead die Handlungsstränge geschickt miteinander verbindet. Gegenwart trifft auf Vergangenheit, Fakten auf Fiktion, all das wird in einer wandlungsfähigen Sprache transportiert. Ergebnis ist ein kaleidoskopartiges amerikanisches Sittengemälde, ein beunruhigender Blick auf Werte im Wandel der Zeit.

Whithead erweist sich in seinem zweiten Roman - die Krimi-Parodie "Die Fahrstuhlinspektorin" erschien vor vier Jahren - als eleganter Stilist. Der 1969 geborene Schriftstteller, der mehrere Jahre als Journalist und Fernsehkritiker gearbeitet hat, gilt als Hoffnungsträger unter den jungen schwarzen Autoren. Er hat schon mehrere Literaturpreise eingesammelt und traut sich hier eine Menge zu. Bei aller Vielseitigkeit gelingt es ihm aber nicht immer, seine Charaktere fesselnd genug zu gestalten. In manchen Passagen wirkt der Roman kühl kalkuliert, aber etwas arm an Leidenschaft. Ein Lesevergnügen ist er allemal.

Colson Whitehead: John Henry Days. Hanser, 526 Seiten; 24,90 Euro. Colson Whitehead liest am 23. 4. im Literaturhaus.