Hätte der Vater den Mord an der Tochter verhindern können? Diese Frage rückt ins Zentrum des Prozesses um die Tötung der jungen Kurdin.

Detmold. Der Vater der getöteten Kurdin Arzu Ö. aus Detmold könnte auch dafür verurteilt werden, dass er den Mord nicht verhindert hat. Diesen rechtlichen Hinweis gab das Landgericht Detmold am zweiten Verhandlungstag. Angeklagt ist der 53 Jahre alte Vater wegen Anstiftung zum Mord. Von Anfang an war auch eine Beihilfe in Betracht gezogen worden. Am Mittwoch legte Richter Michael Reineke nach. Fendi Ö. müsse sich fragen lassen, ob er in der Tatnacht auf seine Kinder eingewirkt habe, Arzu nichts anzutun.

Die Staatsanwaltschaft wirft Fendi Ö. vor, seine fünf erwachsenen Kinder zu einem sogenannten Ehrenmord angestiftet zu haben. Bei einer Verurteilung wegen Anstiftung zum Mord droht ihm lebenslange Haft. Eine Verurteilung lediglich wegen Beihilfe durch Unterlassung könnte aber ebenfalls eine langjährige Haftstrafe nach sich ziehen.

Der 53-Jährige bestreitet, seine Kinder angestiftet zu haben. Er habe Arzu aber wegen ihres Ungehorsams geschlagen. Darüber hinaus schweigt er und will dies nach Angaben seines Anwalts auch weiterhin tun.

Die vier Geschwister der 18-jährigen Arzu waren im Mai 2012 wegen Entführung und Ermordung zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Sie hatten die Tat zugegeben, aber keine Vorwürfe gegen den Vater erhoben. Grund für die Tat war die Beziehung Arzus zu einem Deutschen. Die jesidische Familie Ö. wollte diese Beziehung nicht dulden. Arzus Leiche wurde erst Wochen nach der Entführung am Rande eines Golf-Platzes in Schleswig-Holstein gefunden.

Nüchtern schilderte am Mittwoch ein Rechtsmediziner die Untersuchung des skelettierten Schädels Arzus. Die zwei Einschüsse mit Schmauchspuren an der rechten Schläfe, die beiden Austritte an der linken Schläfe. Das Opfer müsse ganz ruhig gelegen haben, das Ganze ähnele einer Hinrichtungsszene.

In quälender Ausführlichkeit zitierte Richter Reineke aus dem Urteil gegen die fünf Geschwister, in dem die Tat rekonstruiert wurde. Und er liest das Protokoll von dem Auffinden der Leiche am 13. Januar 2012 vor. Das beschreibt den Grad der Verwesung, die Maden, den ausgeprägten Tierfraß. Alles erträgt der Vater ohne sichtbare Regung.

Der ehemalige Freund Arzus, ein 24 Jahre alter Bäckergeselle, berichtete von der Nacht zum 1. November 2011, als die 18-Jährige gewaltsam aus der Wohnung entführt wurde. Und von dem Gespräch zwischen Vater und dem späteren Schützen Osman Ö., während Arzu Hausarrest hatte. Am einfachsten wäre, „sie“ im Wald zu verscharren, habe einer von beiden gesagt.

Bäckermeister Johannes Müller, bei dem Arzu gejobbt hatte, berichtete von der langjährigen guten Beziehung zu der Familie Ö. „Fendi hatte das Sagen.“ Dann die Krise, Arzus Flucht. Arzu habe ihm gesagt: „Wenn die Geschwister mich in die Hände kriegen, bin ich tot.“ Und das sei auch mit den Eltern abgesprochen.

Der jesidische Psychologe Jan Kizilhan berichtete über die Geschichte der Jesiden und seine Erfahrungen mit verurteilten sogenannten „Ehrenmördern“. Sie stammten aus den Kurdengebieten des Nordirak und der südlichen Türkei. Jahrhundertelang seien sie von Muslimen angefeindet worden. Daher stammte auch das Heiratsverbot außerhalb der Glaubensgemeinschaft.

Zu den jesidischen Regeln kämen die patriarchalen Strukturen der Familien. Der Vater sei in der Regel das Oberhaupt, der Ernäher, der Garant für das Wohlleben der Familie, des Clans. „Wenn der Clan mich schützt, muss ich auch seine Regeln befolgen.“ Bei Regelverletzungen müsse die Familie, vor allem das Oberhaupt, aktiv werden. „Sonst gilt es als schwach.“ Wenn der Vater Gewalt untersagt hätte, wäre das eine große Erleichterung für die Kinder, sagte Kizilhan. „Die müssten sich dann nicht mehr in der Pflicht fühlen, die Strafe zu vollziehen.“