Der Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden nähert sich dem Ende. Jetzt waren die Anwälte der Nebenklage an der Reihe.

Stuttgart/Winnenden. Im Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden hat die Verteidigung am Montag in Stuttgart darauf plädiert, den Angeklagten wegen der unverschlossen aufbewahrten Tatwaffe zu verurteilen, ihm aber Straffreiheit zu gewähren. Der ebenfalls erhobene Vorwurf der fahrlässigen Tötung von 15 Menschen und fahrlässigen Körperverletzung von 14 Menschen hat sich nach Ansicht der drei Verteidiger nicht erhärten lassen. Davon sei ihr Mandant freizusprechen.

Jörg K. brach am letzten Verhandlungstag sein Schweigen und las zum Abschluss eine Erklärung vor, in der er sich ein weiteres Mal bei allen Verletzten und Opferangehörigen für die Tat seines Sohnes entschuldigte. Er sprach ihnen sein „tiefstes Mitgefühl“ aus. Im selben Atemzug entschuldigte er sich bei seinem Sohn, dass er dessen persönliche Not nicht erkannt habe. „Tim, es tut mir leid. Tim, du fehlst mir“, sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Verteidiger Hubert Gorka vertrat in seinem Plädoyer die Auffassung, von Fahrlässigkeit hätte beim Vater des Amokläufers allenfalls die Rede sein können, wenn es bei seinem Sohn eine „erkennbare Tatgeneigtheit“ gegeben hätte. Das sei auch die Überzeugung fast aller Rechtsgelehrten Deutschlands im Blick auf den Fahrlässigkeitsbegriff. Tatsächlich habe der Prozess aber völlig neue Tatsachen ans Licht gebracht. So sei deutlich geworden, dass Tim K. in den Monaten vor der Tat auf seine Umgebung deutlich gesünder wirkte.

In seiner neuen Schule sei Tim nach Zeugenaussagen etwa in einer Schüler-Pokerrunde gut integriert gewesen, die Lehrer hatten keine Indizien für Aggression oder Gewalt festgestellt. Tims Schwester, die sich in den Jahren zuvor in sogenannten Internetchats tief besorgt über den Zustand ihres Bruders geäußert hatte, zeigte sich ebenfalls weniger beunruhigt.

„Voraussehbar war allenfalls ein Unglücksfall, aber kein Mord“, sagte Gorka. Der Vater könne nicht für die willkürlichen Taten eines Anderen haftbar gemacht werden – sonst müsste auch jemand wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden, dem ein Mörder den Autoschlüssel aus der Jackentasche nehme, um dann mit dem Wagen in eine Menschenmenge zu rasen. Für das Vergehen der unverschlossen aufbewahrten Waffe müsse Jörg K. zwar verurteilt werden, doch sehe das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit des Strafverzichts vor, wenn durch die Fahrlässigkeit ein naher Angehöriger – in diesem Fall der eigene Sohn – ums Leben gekommen ist.

Rechtsanwalt Jens Rabe, Hauptvertreter der Nebenklage, griff in einer abschließenden Gegenrede das Plädoyer Gorkas scharf an. Dieser habe mit der Aussage, Amokläufer Tim K. sei das 16. Opfer, neue Verletzungen bei den Betroffenen verursacht. Das sei eine „Verhöhnung der Opfer“ gewesen.

Verteidigerin Elisabeth Unger-Schnell wies darauf hin, dass als Ergebnis psychologischer Beratungsgespräche mit Tim K. in einem Klinikum in Weinsberg bei Heilbronn 2008 keine therapeutischen Zwangsmaßnahmen angeraten worden seien. Die Ärzte hätten lediglich Gesprächstherapie empfohlen. Gleichzeitig sei dort auch die Aussage gefallen, dass sich die Probleme bei Tim K. voraussichtlich „auswachsen“ würden. Hätte es eine Gefährdung gegeben, hätten die Ärzte die Eltern darauf hinweisen müssen. Ein solcher Hinweis sei aber nicht dokumentiert.

Unger-Schnell erinnerte auch an die Kooperationsbereitschaft des Vaters. Dieser hätte den Aufbewahrungsort der Tatwaffe den Ermittlungsbehörden nur verschweigen müssen. Tatsächlich habe er die Beamten selbst dorthin geführt und auch auf unverschlossen aufbewahrte Munition hingewiesen. Ohne sein Eingeständnis wäre ein Nachweis des Verstoßes gegen das Waffengesetz schwierig geworden, argumentierte die Verteidigerin.

Hans Steffan von der Verteidigung begründete seine Überzeugung, dass Tim K. die Zahlenkombination des Waffentresors im Wohnhaus gekannt haben muss. Andernfalls gäbe es keine Erklärung dafür, wie der Amokläufer an 275 Patronen der Neun-Millimeter-Munition hätte kommen können. Wenn der Jugendliche aber Zugriff zum Tresor hatte, hätte er selbst ohne die unverschlossen aufbewahrte Waffe seines Vaters die Tat ausüben können, indem er sich einfach andere Waffen genommen hätte.

Der 17-jährige Tim K. hatte mit der Waffe und Munition seines Vaters am 11. März 2009 in seiner ehemaligen Schule in Winnenden bei Stuttgart neun Schülerinnen und Schüler sowie drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm. Im Februar 2011 wurde der ehemalige Unternehmer wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen fahrlässiger Tötung zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Der Vater muss sich seit dem 14. November wegen eines Verfahrensfehlers im ersten Prozess zum zweiten Mal vor Gericht verantworten. Das Urteil soll an diesem Freitag verkündet werden.