Im Namen der Ehre musste die junge Jesidin sterben. Es ging um das Ansehen der Familie und ihres Oberhaupts. Der Vater steht nun vor Gericht.

Detmold. Im ersten Prozess, als fünf erwachsene Kinder der Familie Ö. verurteilt wurden, blieb sein Platz auf der Anklagebank leer. In den Augen der Ankläger galt er immer als Beschuldigter, sein Verfahren wurde aber abgetrennt. Jetzt muss sich der 53-jährige Vater Fendi Ö. vor dem Landgericht Detmold verantworten. Er soll seine Kinder angestiftet haben, die 18-jährige Tochter Arzu zu entführen und umzubringen.

Der Prozessbeginn an diesem Montag (28.1.) dürfte für manchen zum Déjà-vu werden: Der gleiche Fall, der gleiche Richter, der gleiche Saal. Auch viele der 23 Zeugen und die drei Sachverständigen sind schon im ersten Prozess aufgetreten. Am Ende wurden damals die fünf angeklagten Geschwister zu langen Haftstrafen verurteilt, an der Spitze der 22-jährige Osman, der die tödlichen Schüsse gestanden hatte.

Die Geschwister hatten zugegeben, Arzu entführt zu haben. Die Tötung sei aber nicht geplant gewesen. Das Gericht sprach dagegen von einem „Ehrenmord“. Denn Arzu hatte eine verbotene Liebesbeziehung zu einem Deutschen, einem Bäckergesellen. Die Familie gehört zur Glaubensgemeinschaft der Jesiden. Und die dürfen eigentlich nur Partner haben, die ebenfalls Jesiden sind.

Fendi Ö. kam 1985 nach Deutschland, mit seiner Frau und dem ersten Kind, der Tochter Sirin. In Detmold galt die Familie mit den zehn Kindern als vorbildlich integriert. Sirin stand bei der Stadtverwaltung vor einer Karriere. Dann in der Nacht zum 1. November 2011 das Unfassbare: Die fünf Geschwister dringen in die Wohnung von Arzus Freund ein, schlagen ihn nieder und entführen die kleine Schwester. Erst Monate später wird ihre Leiche bei Hamburg gefunden.

Staatsanwalt Christopher Imig geht davon aus, dass Vater Fendi sie dazu angestiftet hat. Selbst wenn es am Ende „nur“ zu Beihilfe zum Mord reichen sollte, müsse Fendi Ö. mit drei bis 15 Jahren Haft rechnen, sagt er.

Einige offene Fragen wird Fendi zu erklären haben. Was hat es mit der Pistole auf sich, die die Polizei unter Fendis Matratze fand? Und der Revolver im Schuppen? Was wurde wirklich in der Tatnacht zwischen Sirin und ihrem Vater per Mobiltelefon besprochen? Und warum hat Fendi den Polizisten, die in der Tatnacht an seiner Tür klingelten, gesagt, seine Kinder seien auf einer Party?

Der Psychologie-Professor Jan Ilhan Kizilhan ist wie im ersten Prozess als Sachverständiger geladen. „In traditionellen, patriarchalen Strukturen wird die Familie als Kollektiv gesehen, fühlt sich verantwortlich – besonders in Fragen der Ehre.“ Eine besondere Rolle komme dem Vater als Familienoberhaupt zu. Wenn sich ein Familienmitglied nicht an die Regeln halte, gelte er als schwach.

Die Menschenrechtlerin Serap Cileli hebt hervor, dass es um die Ehre des Clan-Chefs gehe. Sie fordert ein harte Bestrafung, das Detmolder Gericht könne Rechtsgeschichte schreiben: „Denn es wäre das erste Mal, dass in Deutschland ein Familienoberhaupt wegen Anstiftung zum Ehrenmord verurteilt wird.“ Sie schätzt, dass in den letzten 20 Jahren in Deutschland 100 Frauen im Namen der Ehre umgebracht wurden.

Arzu, die vor dem gewalttätigen Vater ins Frauenhaus geflüchtet war, kannte offenbar die Gefahr: Im Chat mit einer Freundin ermahnte sie diese, mit niemandem aus der Familie Ö. über sie zu sprechen. „Wenn die mich finden, bin ich eine tote Frau.“ Und weiter: „Die wollen, dass ich zurückkomme. Du weißt schon, die Ehre der Familie.“

Und sie erwähnt das Lied des Rappers Eko Fresh „Köln-Kalk Ehrenmord“. Darin erschießt ein Türke seine Schwester und deren Freund, im Namen der Ehre. Wenige Wochen später war Arzu tot.

Arzu hat ihren Freund wenige Meter von ihrem Elternhaus entfernt in der Bäckerei kennengelernt, in der sie aushalf. Bäckermeister Johannes Müller ist heute noch erschüttert. „Wir hatten ein enges Verhältnis zu Arzus Familie.“ Fendi sei streng zu seinen Kindern gewesen. „Ohne Zustimmung des Vaters, vielleicht auch der Mutter, wäre das mit Arzu nie passiert.“

Fendi Ö. wird im Prozess zwar einräumen, seine Tochter verprügelt zu haben, sagt sein Verteidiger. „Von der Anstiftung zum Mord wird er sich aber deutlich distanzieren.“