Kriminalhauptkommissar Ingo Thiel leitete die „Soko Mirco“. Sein Buch bietet tiefe Einblicke ins Seelenleben und die Arbeit des Ermittlers.

Berlin/Grefrath. Ingo Thiel hat in seinem Berufsleben in fast alle Abgründe der menschlichen Seele geblickt. Der Kriminalhauptkommissar müsste abgehärtet sein, vielleicht sogar abgestumpft, doch als der Entführer und Mörder des kleinen Mirco schließlich gesteht, rinnen Tränen über sein Gesicht. „Da brach sich plötzlich alles Bahn, was sich über viereinhalb Monate angestaut hatte“, erinnert sich der 48-Jährige. Ingo Thiel leitete 145 Tage lang die akribische Suche nach dem zehn Jahre alten Mirco aus Grefrath am Niederrhein, einem der spektakulärsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre. Nun verarbeitet er seine Erlebnisse in einem Buch, das am Montag (12. November) erscheint.

Thiel, der von seinen Kollegen auch „Terrier“ genannt wird, zeichnet die Ermittlungen im Detail nach. Zeugenaussagen, Termine vor Ort, Gespräche mit Mircos Eltern. Rückschläge und hoffnungsfrohe Momente im Hauptquartier der Ermittler in Dülken, einem Ort nahe Mircos Herkunftsort Grefrath. Doch er belässt es nicht bei der puren Schilderung von Fakten. Der routinierte Thiel lässt tief blicken - in das Innerste des Polizeiapparats und das Innerste seines Herzens. Neben dem Fall Mirco schildert er im Buch auch, was im Fall des ermordeten Sascha aus Willich geschah und wie er und seine Kollegen einen Triebmörder fassten.

Thiel ist ironischerweise Hobby-Jäger, doch er weiß: „Mörder und Entführer spürt man nicht so vergleichsweise einfach auf wie einen wilden Keiler.“ Für ihn und sein Team, das zeitweise bis zu 80 Leute umfasst und unglaublichen 9.900 Hinweisen nachgeht, gibt es kaum noch Freizeit, seine Frau Uta sieht er im Herbst und einen Teil des Winters 2010 praktisch nicht mehr.

„Wir arbeiten an Weihnachten, an Silvester und an Neujahr. Wir arbeiten jeden Tag“, lautet seine trockene Zusammenfassung. Echte Ermittlungsarbeit ist Knochenarbeit, da wirkt es wie Hohn und Spott, dass sein „Kollege“ von der Fernsehreihe „Tatort“ aus dem nicht weit entfernten Münster auch Thiel heißt, aber angesichts eines frischen Falls auch mal gerne alles Mögliche macht, nur nicht ermittelt.

Dagegen zeichnet der richtige Thiel das Selbstbildnis eines unerschütterlichen Idealisten: „Wir machen das hier nicht bloß, weil es halt irgendwer machen muss. Wir machen das vor allem für Sandra und Reinhard.“ Das sind die Eltern von Mirco, denen Thiel zu Beginn der Ermittlungen das Versprechen gibt, ihren Jungen zu finden.

Zu den beiden baut Thiel, der einen Sohn im gleichen Alter wie Mirco hat, eine persönliche Beziehung auf. Und er ist nicht der einzige. Thiel schildert, wie auch manche seiner Kollegen im Hauptquartier der Ermittler in Dülken von ihren Gefühlen übermannt werden, als Mircos Eltern im WDR Fernsehen einen flammenden Appell an den Täter senden.

Der Polizist Thiel bekennt sich aber auch offen zu Fehlern und schildert, wie Leute aus seinem Team gleich zu Beginn des Falls Mircos Eltern den Fund der Kleidung berichten, ohne dass klar ist, dass sie wirklich Mirco gehört. Ob sich jemand auch zu entschuldigen versucht? Wohl kaum. Allenfalls streichelt da ein Beamter sein eigenes Ego – nach mehr als 20 Jahren in der Abteilung 11 für Tötungsdelikte bei der Mönchengladbacher Polizei, nach denen er laut Verlag eine lupenreine Aufklärungsquote von 100 Prozent bei allen Fällen hat, die er von Anfang an betreute.

Dieses Buch verschafft nicht nur lebendige Einsicht in hoch spannende Polizeiakten und nächtliche Runden erschöpfter Ermittler beim Feierabendbier. Es ist auch eine Abschreckung für potenzielle Täter. Denn Thiel schildert im Gegensatz zur simplen Welt der Fernsehermittler den Alltag einer gigantischen Fahndungs-Maschine, die schon nach kurzer Zeit in vollem Gange ist – bis zur Festnahme des Täters, die so geräuschlos und unspektakulär verläuft, dass man es als Krimifan kaum glauben mag. Als der Hauptkommissar das erste Mal dem Täter Olaf H. gegenübersteht, sagt er schlicht: „Hab dich!“ - wie ein Kind beim Fangenspielen. Er braucht diesen Satz vor allem als persönliche Genugtuung.