Mutmaßlicher Mörder von Mirco gesteht vor Gericht. Zu Prozessbeginn blieb aber das Motiv des Familienvaters im Dunkeln. Opfer-Mutter als Zeugin.

Krefeld. Die Ersten finden sich schon um 7.30 Uhr am Nordwall in Krefeld ein. Ein Justizbeamter des Landgerichts versucht den Überblick zu behalten. Der Mirco-Prozess beginnt an seinem ersten Tag verspätet wegen dieses großen Andrangs. Es geht um die Tötung eines Zehnjährigen und um die Verurteilung eines Mörders, denn dass Olaf H., 45, der Angeklagte, der Mörder von Mirco S. aus Grefrath ist, daran besteht längst kein Zweifel mehr.

Auf der anderen Straßenseite hat jemand eine provisorische Gedenkstätte mit Mirco-Memorabilien aufgebaut, Steine mit Sprüchen, Fotos, eine Kerze, Blumen, ein Mann trägt um den Hals ein Schild, auf dem "Lebenslänglich quälen" steht. Er führt aus, dass es kaum eine Strafe sei, wenn Olaf H. denn nur in seiner Zelle sitze.

Soko-Chef Ingo Thiel ist zu einer Art Held geworden

Im ersten Stock, vor dem Saal, steht auch Ingo Thiel, Leiter der Soko "Mirco" , die das Verschwinden des Jungen am 3. September vergangenen Jahres aufgeklärt hat. Thiel, der zu einer Art Held mutiert ist, weil er Olaf H. fasste, lächelt. Er ist ein anderer geworden im vergangenen Jahr, so viel sieht man. Mircos Eltern, die im Prozess als Nebenkläger auftreten, werden heute von ihrer Anwältin vertreten. Die Mutter soll im Rahmen des Prozesses, der mit 15 Verhandlungstagen noch bis Ende September angesetzt ist, als Zeugin aussagen. Allerdings kommen die meisten Zeugen aus dem Umfeld von H. Es geht in solchen Prozessen nie um die Opfer, immer um den Täter.

Das Schwurgericht, drei Berufsrichter, zwei Schöffen, unter dem Vorsitz von Richter Herbert Luczak, befindet über die Schuld des Angeklagten. Im Fall von Olaf H., der vorher nie strafrechtlich in Erscheinung getreten war, geht es um lebenslänglich oder um lebenslänglich mit "besonderer Schwere der Schuld", was seine Haft verlängern würde. "Lebenslänglich" bedeutet in Deutschland statistisch gesehen 17 bis 20 Jahre Haft, bei "besonderer Schwere der Schuld" dauert die Haft statistisch gesehen 23 bis 25 Jahre. Wenn die Richter Olaf H. als gefährlich einstufen, kann es sein, dass eine Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Olaf H. würde dann wohl nie mehr freikommen.

+++ Info: 1000 Polizisten suchten das vermisste Kind +++

Es geht also um einiges für den Mann, der unter Raunen und Blitzlichtgewitter den Gerichtssaal betritt und neben seinem Anwalt Gerd Meister Platz nimmt. H. trägt einen dunklen Anzug, ein schlammfarbenes Hemd und eine Krawatte, sein Gesicht versucht er mit einer Baseballkappe, einer Sonnenbrille und einem Hefter vor den Fotografen zu verbergen. Er wird in der Verhandlung, nachdem die Fotografen aus dem Saal gegangen sind, nicht zugänglicher. Nach Verlesung der 26 Seiten langen Anklage räumt sein Anwalt ein: "Es wurde fair ermittelt. Die Beweislage ist vernichtend", sagt Meister.

"Ja", Olaf H. habe Mirco entführt und ihn mit einer Schnur erdrosselt. Doch "nein", er sei nicht noch einmal zur Leiche zurückgekehrt und auch habe er seinem Opfer kein Messer in den Hals gerammt. "Du bist zu weit gegangen, den kannst du nicht laufen lassen", soll sein Mandant gedacht haben. Dennoch werde das Verfahren "Einblicke in Abgründe" gewähren, sagt Meister. "Nein", das Motiv der Tat sei nicht Wut darüber gewesen, dass er keine Erektion bekommen habe, als er versuchte, das Kind zu missbrauchen. Olaf H. wird im Prozess schweigen, verkündet sein Anwalt, er werde sich nicht bei Mircos Eltern entschuldigen, weil die Tat eben unentschuldbar sei.

Mit immer neuen Versionen hatte Olaf H. versucht, sich zu retten

Den Rest des Tages arbeiten sich die Richter durch die Verhörprotokolle der Polizei, gehen die einzelnen Versionen durch, mit denen H. verzweifelt versucht hat, seinen Kopf doch noch aus der Schlinge zu ziehen, dass er den sterbenden Jungen lediglich auf einem Parkplatz fand, dass es ein Unfall war, dass er nur mit ihm reden wollte, dass Mirco sich selbst ausgezogen habe. Unter dem gelegentlichen Ächzen und Raunen des Publikums arbeitet das Gericht die Abgründe des Olaf H. auf.

Stocksteif sitzt der ehemalige Telekom-Mitarbeiter in diesen Momenten und starrt vor sich hin. Er ist selbst dreifacher Vater, liebt seine Kinder, spielte gern mit ihnen im Garten. Nun hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, sie hat das gemeinsame Haus in einem Neubaugebiet im niederrheinischen Schwalmtal inzwischen verlassen und lebt mit neuer Identität irgendwo in Bayern, heißt es. Bis auf "Ja" hat Olaf H. noch nichts gesagt an diesem ersten Tag. Er sei nicht in der Lage dazu, sagt sein Anwalt für ihn.