20 der insgesamt 40 New Yorker Todesopfer stammen aus dem Bezirk. Von der anlaufenden Hilfe ist hier noch nicht viel angekommen.

New York. Der New Yorker Kleine-Leute-Bezirk Staten Island hat unter dem Wüten des Monstersturms „Sandy“ besonders gelitten. Der Stadtteil mit seinen 500.000 Menschen wurde am Montag von einer riesigen Wasserwelle überrollt, die Hälfte der 40 New Yorker Todesopfer des Hurrikans stammt von hier. Unter den Toten sind auch zwei Brüder im Alter von zwei und vier Jahren, die der Wirbelsturm aus den Armen ihrer Mutter riss. Doch von der angelaufenen Hilfe ist in Staten Island, das an der Südspitze der Millionen-Metropole liegt, wenig angekommen.

„Die haben uns vergessen“, schimpft die 42-jährige Theresa Connor und sagt, ihr Kiez auf der Insel sei ausgelöscht worden. Ihr Zorn richtet sich vor allem gegen Bürgermeister Michael Bloomberg. „Bloomberg sagt, New York geht’s gut. Der Marathon findet statt.“ Die Entscheidung des Stadtoberhauptes, die weltgrößte Laufveranstaltung wie geplant am Sonntag über die Bühne gehen zu lassen, hat Kopfschütteln und Wut ausgelöst. Viele fürchten, der New-York-Marathon mit seinen 40.000 Läufern könnte Helfer binden, die woanders dringender gebraucht würden.

„Wenn die auch nur einen Helfer für den Marathon abziehen, kriege ich einen Schreikrampf, twitterte der Stadtverordnete James Odman. Dabei gebe es viele Menschen ohne Wohnung und ohne Hoffnung. Bloomberg verteidigte seine Entscheidung und verwies auf unzähligen auswärtigen Zuschauer, die nach Schätzungen des Marathon-Veranstalters 340 Millionen Dollar in der Stadt lassen werden.

Staten Islands Bezirksbürgermeister James Molinario ließ derweil seiner Verärgerung über das Rote Kreuz freien Lauf, das nicht präsent sei. Dabei seien Menschen unter ihren Häusern begraben, andere hätten nichts zu essen und zu trinken. Das Amerikanische Rote Kreuz erklärte, Hilfe sei unterwegs nach Staten Island, das von Manhattan mit der Fähre in 25 Minuten erreicht werden kann.

Die aus dem benachbarten New Jersey stammenden Rockmusiker Bruce Springsteen und Jon Bon Jovi planten für den Freitag ein Benefizkonzert für die Sandy-Opfer. Das Geld soll dem Roten Kreuz zugute kommen.

Ebenfalls am Freitag wollte Heimatschutzministerin Janet Napolitano den bevölkerungsärmsten der fünf New Yorker Bezirke besuchen, wohl auch um Schadensbegrenzung zu betreiben. Denn kurz vor den Wahlen am Dienstag, bei denen die Amerikaner nicht nur über den Präsidenten, sondern auch über kommunale Vertretungen abstimmen, sind Bilder protestierender und verärgerter Bürger für Politiker nicht hilfreich. Nach dem republikanischen Gouverneur des ebenfalls schwer getroffenen Nachbarstaats New Jersey, Chris Christie, rief auch Bloomberg zur Wiederwahl des demokratischen Präsidenten Barack Obama auf. Gouverneur und Bürgermeister waren voll des Lobes über das Krisenmanagement des Staatschefs und seiner Regierung.

Nicht nur in Staten Island wird ein schleppender Fortgang der Aufräum- und Reparaturarbeiten kritisiert. Vor allem in den von der Stromversorgung abgeschnitten Stadtteilen kursiert die Angst vor Verbrechern. Am Donnerstag waren noch immer 4,5 Millionen Haushalte und Geschäfte ohne Strom.

Tagsüber fühlten sich die Menschen sicher, aber das ändere sich mit Einbruch der Dunkelheit schlagartig, klagt Wolfgang Ban, der in Manhattan ein Restaurant betreibt. Es seien nicht genug Polizisten auf der Straße. „Dass die Guardian Angels auf der Straße Recht und Ordnung wiederherstellen wollen, zeigt, dass die Lage in Lower Manhattan außer Kontrolle ist.“ Die Guardian Angels sind selbst ernannte Sicherheitskräfte, die sich den Schutz der öffentlichen Ordnung zum Ziel gesetzt habe.

Die Zahl der Todesopfer stieg mittlerweile auf 98. Die meisten Leichen wurden in New York geborgen. Mindestens 13 Menschen fanden in New Jersey den Tod. „Sandy“ wird nach den Wirbelstürmen „Katrina“ (2005) sowie „Andrew“ (1992) und den Anschlägen vom 11. September 2001 als die viertschwerste Katastrophe in der US-Geschichte eingestuft. Die versicherten Schäden werden auf 20 Milliarden Dollar, die wirtschaftlichen Folgen auf 50 Milliarden Dollar geschätzt.