Am Mittelmeer herrscht geteilte Meinung über den Zustrom der Spieler aus ganz Europa. Die Katholische Kirche spricht von “Götzenverehrung“.

Rom/Hamburg. Alle Menschen in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein gegen die Schweinegrippe impfen, 139 Millionen Kindern einen Burger kaufen, seinen Lieblingshund 1166-mal klonen lassen - all diese Dinge wären möglich, vorausgesetzt, man knackt als Einziger in Europa den italienischen Jackpot. Der lag gestern bei 139,9 Millionen Euro, und nachdem er am Abend wieder nicht geknackt wurde, wird er jetzt auf rund 144 Millionen Euro steigen. Geld allein macht zwar nicht glücklich, wie in erster Linie immer die Leute feststellen, die keins haben. Doch Marcel Reich-Ranicki (89) lag wahrlich nicht falsch, als er den Satz um die Einschränkung ergänzte: "Aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in einer Straßenbahn." Das dachten sich auch viele Europäer und machten sich seit vergangener Woche allein oder in ihrer vertrauten Tippgemeinschaft auf den Weg in den Süden. Da eine Teilnahme an der Auslosung über das Internet nicht möglich ist, hieß es für Möchtegern-Glückspilze: Koffer packen und auf nach Bella Italia - ob per Auto oder per Flugzeug, ob auf dem Weg in den Urlaub oder als spontaner Tagesausflug mit der ganzen Familie. Deutsche, Österreicher, Slowenen und Kroaten drängten gestern neben den lottowütigen Italienern vor den Annahmestellen und Tabakläden. Bei 40 Grad warteten sie in der sengenden Hitze und kreuzten in der Hoffnung auf das große Geld fleißig Zahlen an.

Beim SuperEnalotto in Italien sind es allerdings sechs aus 90 und nicht, wie in Deutschland, sechs aus 49. Damit wird die Chance auf den Gewinn nicht größer, ganz im Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit, den Jackpot zu knacken, liegt in Italien bei 1:623 Millionen. Eher wird man vom Blitz getroffen, als dass man das Geld mit nach Hause nimmt. In der deutschen Heimat liegt die Chance bei nicht weniger unrealistischen 1:140 Millionen. Doch wen hat die mathematische Theorie je davon abgehalten, sein Glück zu versuchen?

Die Italiener waren ob der erweiterten Konkurrenz aus dem Ausland geteilter Meinung. Auf der einen Seite standen die Besitzer der Lottoannahmestellen in den Grenzorten zu den Nachbarländern, beispielsweise am Brenner: Sie waren völlig begeistert, freuten sich über die neue Kundschaft und stellten Lottoscheine im Minutentakt aus. Auch die umliegenden Geschäfte und Cafés kamen in den Genuss der Tipp-Touristen, die ihre sechs Zahlen mit einem Espresso begossen oder sonstige Glücksbringer erwarben. Besonders herzlich bedankt sich allerdings die Staatskasse des Mittelmeeranrainers. Diese ist mit 1, 670 Milliarden Euro im Minus und nicht unbedingt für Sparsamkeit und hervorragendes Geldmanagement bekannt. Von den zwei Milliarden Euro, die seit Anfang des Jahres in Italien für Spielscheine ausgegeben wurden, ging ungefähr die Hälfte an "Väterchen Staat". Im Januar war der Jackpot das letzte Mal geknackt worden und ist seit 83 Ziehungen weiter gewachsen. Da dürfen auch die Nachbarn gern ihr Geld über die Grenzen tragen.

Einige der italienischen Medien empfinden allerdings mehr eine Mischung aus Erstaunen und Ablehnung gegenüber den Heerscharen von Glückssuchern. Die Zeitung "Repubblica" jedenfalls sah eine "Squadra d'assalto", also eine Angriffstruppe, den Jackpot bedrohen. Die Katholische Kirche störte sich dabei nicht an den auswärtigen Lottospielern, sondern allgemein an dem Großspektakel. Sogar von "Götzenverehrung" war die Rede. Das störte die sonst sehr gläubigen Italiener ausnahmsweise wenig. In Tippgemeinschaften mit bis zu 2000 Teilnehmern frönten sie dem Glücksspiel, und sogar einige Gemeinden hofften auf einen Gewinn. Doch wer auch immer gewinnt, das Geld geht auf jeden Fall auf ein italienisches Konto. Das schreiben die Regeln vor. Aber ein solches einzurichten sollte für die Lotto-Touristen das geringste Problem sein - sie sind ja schließlich schon in Italien.