Die Polizei ist sicher, dass der jugendliche Verdächtige die Neunjährige misshandelt und anschließend in einen Kanalschacht geworfen hat.

Velbert/Mettmann. Als man die neunjährige Kassandra in der Nacht zum 15. September in einem 1,50 Meter tiefen Kanalschacht fand - fast zu Tode geprügelt, bewusstlos und unterkühlt - war sofort klar, dass dies die Tat eines besonders gefühllosen und brutalen Menschen sein musste. Sogar der 40 Kilogramm schwere Gullydeckel war wieder auf den Schacht gerückt worden. Kassandra war zurückgelassen worden, um zu sterben. Nur dank einer groß angelegten Suchaktion und des Einsatzes von Spürhunden konnte das Mädchen rechtzeitig gerettet werden.

Nach zwei Wochen intensiver Fahndung verkündeten die Ermittler am Sonnabend die Festnahme eines Tatverdächtigen. Und tatsächlich beschreibt der Leiter der Mordkommission, Wolfgang Siegmund, dessen "Verhalten und Gefühllosigkeit als in höchstem Maße beeindruckend" - besonders in Anbetracht des Alters, denn er ist gerade erst 14 Jahre alt. Obwohl noch ein Kind, soll er Kassandra am 14. September auf deren Heimweg von einem Jugendtreff aufgelauert, sie misshandelt und anschließend in den Kanalschacht geworfen haben. Die blutige Jacke des Opfers versteckte er und beteiligte sich sogar an der späteren Suchaktion. Am Tag nach der Rettung des Mädchens wurde der Junge, der auch aus Velbert (Nordrhein-Westfalen) kommt, vernommen - als Zeuge. Wolfgang Siegmund erklärte, ein Tatverdacht hätte damals nicht im Geringsten bestanden. Allerdings sagten im Zuge der Ermittlungen immer mehr Zeugen aus, sie hätten den Jungen zum Zeitpunkt von Kassandras Verschwinden am Tatort gesehen.

Eine Frau erinnerte sich, sie habe den Verdächtigen auf einem Fahrrad flüchten sehen. Daraufhin wurde der Schüler, der eine Fördereinrichtung für sozial und emotional gestörte Kinder besucht, am 22. September erneut vernommen, dieses Mal als Tatverdächtiger. Laut Siegmund habe der 14-Jährige dabei "völlig gelassen und abgeklärt gewirkt". Zwar widersprachen sich seine Aussagen zum Teil, dennoch habe er auf jede Frage eine Antwort gehabt und eine Beteiligung an der Tat stets abgestritten. Für einen Haftbefehl reichten die Verdachtsmomente nicht aus. Erst am vergangenen Freitag ergab eine Untersuchung von Kassandras Jacke, dass sich auf dem Kleidungsstück Faserspuren der Bekleidung des nun festgenommenen mutmaßlichen Täters befanden. Auch auf einem nicht näher beschriebenen Tatwerkzeug wurden diese Spuren nachgewiesen. Damit waren die Indizien stark genug, um den 14-Jährigen in der elterlichen Wohnung festzunehmen und Haftbefehl wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Mordes zu erlassen.

Der Junge sitzt nun in Untersuchungshaft und ist nicht geständig. Seine Eltern, bei denen er zusammen mit seinen zwei Geschwistern wohnt, glauben den Aussagen ihres Sohnes. Dieser besucht zwar eine Förderschule, gilt aber als normal intelligent und nicht lernbehindert. Allerdings ist er als verhaltensauffällig bekannt. In dem Jugendtreff, den auch Kassandra besuchte, hatte er Hausverbot, um die sechs bis zwölf Jahre alten Kinder zu schützen. Deren Eltern hatten sich beschwert, er habe die Kinder geschlagen und provoziert. Gegen den Jungen wurde zudem bereits wegen Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt. Wie sich nun herausstellte, kannte Kassandra den mutmaßlichen Täter. Die Neunjährige, die ein Schädelhirntrauma erlitt, ist mittlerweile zwar aus dem künstlichen Koma erwacht und ansprechbar, aber noch nicht vernehmungsfähig. Deshalb konnte sie den Täter bisher auch nicht identifizieren. Siegmund: "Wir sind aber guter Hoffnung, bald mit Kassandra reden zu können."

Dem Verdächtigen drohen nach Jugendstrafrecht maximal zehn Jahre Haft, vorausgesetzt, er kann strafrechtlich überhaupt verantwortlich gemacht werden. Dies ist zurzeit noch unklar. Trotz des Fahndungserfolgs sucht die Polizei nach weiteren Beweisen und einem möglichen Motiv.