Matthias Steiner rührte in Peking Millionen Menschen, gestern sah er zum ersten Mal dem Mann in die Augen, der seine Frau (22) totfuhr. Der Angeklagte: “Es tut mir unendlich leid.“ Staatsanwalt fordert ein Jahr Haft auf Bewährung.

Heidelberg. Es war die bewegendste Szene der Olympischen Spiele in Peking im August: Bei der Verleihung seiner Goldmedaille küsst Gewichtheber Matthias Steiner (26), der "stärkste Mann der Welt", mit tränennassen Augen das Foto seiner toten Frau Susann (22) und hält es vor die Kameras. Das Bild ging um die Welt und rührte Millionen Menschen.

Seit gestern muss Steiner wieder besonders stark sein. Angespannt eilt er - umringt von Fotografen und Kameraleuten - am Morgen in das Heidelberger Amtsgericht. Nur vier Tage nach seinem Auftritt bei "Wetten, dass ..?" ist der 145-Kilo-Mann verschlossen, schweigsam - und wirkt sehr verletzlich. Steiner tritt in dem Prozess um den Unfalltod seiner Frau als Nebenkläger auf. Er will genau wissen, was an jenem 16. Juli 2007 um 18.25 Uhr bei schönstem Sommerwetter geschah, vor allem quält ihn die Frage: warum?

Die Anklage wirft Franz G. (57) aus dem Rhein-Neckar-Kreis fahrlässige Tötung vor. Er habe den Unfall zwischen Wiesloch und Heidelberg durch "extreme Unaufmerksamkeit" verschuldet, hält Staatsanwalt Joachim Steinbacher dem Mann vor. In seinem Plädoyer spricht er später von einem "groben Fahrfehler" sowie zu hoher Geschwindigkeit. Er fordert eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monate Führerscheinentzug.

Der Angeklagte, der angeblich auf dem Weg ins Krankenhaus war, um seine Mutter zu besuchen, schweigt zunächst. Verschlossen sitzt der weißhaarige, bärtige Mann dem Olympiasieger in zehn Meter Abstand gegenüber. Erst in seinem "letzten Wort" entschuldigt er sich persönlich bei Steiner. Es tue ihm "unendlich leid", sagt Franz G. An den Unfall könne sich der Angeklagte, der selbst schwer verletzt wurde, nicht mehr erinnern, sagt sein Verteidiger Klaus Hiltscher. Er vermutet, dass gesundheitliche Probleme die Ursache gewesen sein könnten, und fordert Freispruch.

Rechtsmediziner Rainer Mattern schließt eine Erkrankung aus, hält aber einen Sekundenschlaf für möglich. Spekuliert wird unter anderem, dass der Fahrer bewusstlos wurde und deshalb die Kontrolle über seinen Jeep Cherokee verlor. Betrunken war der Lagerist damals nicht.

Nach Angaben des technischen Sachverständigen Andreas Peuser war seine Geschwindigkeit von etwa 90 km/h - erlaubt waren 70 - zwar nicht Ursache für den Unfall. Unstrittig ist aber: Wäre der Angeklagte langsamer gewesen, hätte Susann Steiner nicht sterben müssen. Der Rechtsmediziner: "Das Verletzungsmuster war nicht so, dass sie überhaupt keine Chance hatte."

Steiner verfolgt die Aussagen konzentriert. Bei manchen Zeugen hakt er nach:"Er wusste also, wo er ist?" oder "Kann es ein Schock gewesen sein?" In den Pausen berät er sich mit dem Staatsanwalt.

Aus Liebe zu Susann aus Sachsen hatte der gebürtige Österreicher seinerzeit Wohnort und Nationalität gewechselt und war in die Nähe von Chemnitz gezogen. Nur eineinhalb Jahre nach der Hochzeit verlor seine Frau in der Nähe des Bundesleistungszentrums in Leimen, wo er trainierte, ihr Leben.

Ein Augenzeuge: "Der Jeep tauchte wie aus dem Nichts auf." Sein eigenes Auto sei knapp verfehlt worden. Dann raste der Geländewagen frontal in den Nissan Micra von Susann Steiner. Sie musste von der Feuerwehr aus dem Kleinwagen befreit werden und starb sieben Stunden später. Am 3. Dezember will das Gericht sein Urteil sprechen.