Im tiefen Süden ist der Ulmer zwar entzückt, schüttelt insgeheim aber ungläubig den Kopf. Schließlich gilt die Stadt an der Donau und am Aufstieg zur Schwäbischen Alb als Nebelloch. Diese besondere geografische Lage Ulms führt tatsächlich dazu, dass sich regelmäßig im späten Herbst einige Wochen lang hartnäckig der feuchte und kalte Grauschleier über die Stadt legt. Jörg Kachelmann im Fernsehen nennt das "Inversionswetterlage", wenn sich meteorologisch tagelang nichts bewegt. Der Nebel deckt in der Gefühlslage des Ulmers zu, was statistisch bewiesen ist: dass die 120 000 Einwohner große Stadt - in ihr steht das Münster, die Kirche mit dem höchsten Turm der Welt (161,51 Meter) - hinter Freiburg (1704 Stunden) und München (1698) die deutsche Großstadt ist, in der die Sonne am längsten scheint: 1697 Stunden im Jahr. Wenn der Ulmer dann erfährt, dass die Menschen in seiner Stadt überdurchschnittlich alt werden und überdurchschnittlich sportlich sind, macht ihn das stolz. Ohnehin gewusst hat er schon lange, was nun Zahlen dokumentieren: dass die wirtschaftliche Lage besser ist als anderswo und der Ulmer häufiger ins Theater geht und kulturbeflissener ist als andere Großstädter. Was Letzteres mit dem Gesundheitszustand zu tun hat? Zufriedene Menschen haben weniger Stress. Sie sind gesünder. Und das glaubt der Ulmer dann doch.

Hans-Uli Thierer (Lokalchef der "Südwest Presse" in Ulm und Theodor-Wolff-Preisträger)