Wenn sich auf dem Radarschirm kleine Vierecke in Sterne verwandeln, droht eine Kollision. Und bei Transpondercode 7500 ist Entführungsalarm.

Langen/Frankfurt am Main. Im Luftraum über dem internationalen Airport Langen herrscht gnadenloses Gedränge: Im Minutentakt starten und landen Flugzeuge. Andere warten vor den Gates auf die Freigabe, um ihre Triebwerke anlassen zu dürfen. Und aus Richtung Westen nähert sich eine weitere Armada Flieger den Landebahnen, wie an einer Perlenschnur aufgezogen. Zu allem Überfluss befinden sich noch drei Transportmaschinen aus Richtung Baltikum im direkten Anflug.

Unten im Kontrollraum kriegt der Luftlotsen-Schüler aus Hamburg zusehends die Krise. In 4000 Fuß (rund 1200 Meter) Höhe schwebt LTU-Flug 8922 aus Monastir heran; der Pilot quäkt aus seinem Cockpit irgendwelche Buchstaben-Codes durch den Äther: "Echo, Delta, Delta, Hotel." Ach so! Wie aber soll die Boeing 767/300 zur Landung ansetzen, wenn unten am Boden das Chaos herrscht?

"Ganz ruhig bleiben", murmelt Fluglotsen-Lehrer Hans Simon (60) nebenan. Mit 32 Jahren auf dem Tower in Frankfurt und Saarbrücken hat er gut reden, wenn dem Probanden der Überblick verloren geht. Auf dem Radarschirm blinken blaue und gelbe Nummern durcheinander. Kritisch wird's erst dann, so hatten die Profis der Flugsicherungsakademie bei der Einführung erläutert, wenn sich die kleinen Vierecke auf dem Monitor in fette Sterne verwandeln: Dann besteht Kollisionsgefahr. Besonderes Ungemach droht auch, wenn Transpondercode 7600 warnt: Der Funkkontakt ist kollabiert. Und bei Code 7500 ist eine Entführung im Gange.

So weit kommt es an diesem Tag in der Zentrale der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Langen vor den Toren Frankfurts am Main glücklicherweise nicht. Dafür symbolisiert plötzlich ein rotes Kreuz einen Crash auf dem Flughafen-Vorfeld: Ein Airbus nach Hamburg hat einen Cityhopper aus Wien touchiert. Der Testlotse legt den Telefonhörer aus der Hand, lehnt sich entnervt zurück, tupft den Schweiß von der Stirn - und freut sich, dass alles nur eine Übung war.

Nach ausgiebiger Stärkung in der Kantine des 1953 als Bundesanstalt gegründeten Unternehmens folgt der fliegende Wechsel in die Realität. Durch lange Korridore und mehrfach gesicherte Eingänge führt der Weg von der Schule in die echte Kontrollzentrale. Dort sitzen weit mehr als 100 "Könige des Himmels" und dirigieren den Luftraum über Deutschland. "Alles unter Kontrolle", meldet Fluglotse Markus Jodlbauer. "Wie immer." Bei 2,86 Millionen Flugbewegungen im Laufe des vergangenen Jahres hatte die Deutsche Flugsicherung nicht eine "Luftfahrzeugannäherung", so die offizielle Bezeichnung für Kollisionsgefahr, zu verantworten.

Aus gutem Grund werden diese Daten penibel überwacht - zum Beispiel, damit sich kein Unglück wiederholt wie jenes vom 1. Juli 2002, als es in der Nähe von Überlingen am Bodensee zur Katastrophe kam: Bei dem Zusammenstoß starben 71 Menschen. Damals war die Crew eines Passagierflugzeugs aus Moskau dem Lotsenbefehl zum Sinkflug gefolgt, obwohl das bordeigene Anti-Kollisions-System TCAS die Order zum Steigen gegeben hatte. Die Maschine kollidierte daraufhin mit einem Frachtflugzeug. Als eine Konsequenz des Dramas haben Piloten seitdem Anweisung, im Zweifelsfall ihrem Bordgerät zu folgen.

Mahner hatten einen solchen Vorfall kommen sehen: Die in den vergangenen Jahren aufgrund günstiger Flugpreise immer neuer Linien und vermehrter Kurzreisen explodierten Flugzahlen führen europaweit zu einer Ballung im Luftraum. Gab es 2001 in Deutschland 2,56 Millionen Flugbewegungen, so waren es im vergangenen Jahr 2,86 Millionen - Tendenz weiter steigend. Und dank seiner zentralen Lage ist Deutschland ohnehin das luftverkehrsreichste Land Europas. "Es ist viel Eisen in der Luft", sagen die Frauen und Männer in Langen in ihrem Jargon.

Experten rechnen im kommenden Jahrzehnt sogar mit einer Verdoppelung des Flugverkehrs. Dabei ist am Himmel schon jetzt zeitweise die Hölle los. Die Monate Juni bis September zählen zu den Zeiten mit der größten Dichte an Flugbewegungen.

Der absolute deutsche Rekord wurde am 10. Juli dieses Jahres verbucht: Am Tag nach dem Finale der Fußball-Weltmeisterschaft zählte die DFS 10 137 Flüge; ansonsten sind es "nur" acht- bis neuntausend Flüge pro Tag. Trotz penibel aufgeteilter Luftkorridore und immer ausgefeilterer Technik nimmt die Verantwortung der Fluglotsen immer weiter zu. Die DFS-Profis, deren Hauptquartier in modernen Bürokomplexen in Langen untergebracht ist (ein gleichnamiger internationaler Airport ist nur Fiktion für die Lotsenschüler), müssen einen reibungslosen Verkehrsfluss an den Himmelsstraßen, aber auch auf den Rollfeldern und Parkpositionen garantieren.

"Wir kontrollieren und überwachen die Flugzeuge bei Start und Landung sowie in der Luft und sorgen dafür, dass sie auf den festgelegten Routen in der richtigen Höhe fliegen und vorgeschriebene Sicherheitsabstände einhalten", sagt Fluglotsenlehrer Hans Simon.

Im Übungssaal der Akademie hat die Zukunft schon begonnen: In einem Rundum-Kino lernen die Lotsen in spe ihren späteren Alltag. Konzentrationsfähigkeit, räumliches Denken und gute Kondition sind Voraussetzungen des Jobs, der mit Monatsgehältern von bis zu 6500 Euro vergleichsweise hoch dotiert ist. Nur fünf Prozent der Bewerber werden angenommen.

Die Testpersonen sind schon nach einem Tag fix und fertig mit den Nerven. Kein Wunder, bei dem Tohuwabohu im Rundum-Kino: Von allen Seiten nähern sich Flugzeuge aller Art; auch am Boden gleicht der Flughafen einem Bienenstock. Seelenruhig machen die Lotsenlehrer vor, was für sie zum Alltag zählt und einem Profi nur ein Lächeln abverlangt. Das vermeintliche Chaos hat für Eingeweihte Logik und Ordnung.

In schnellem Rhythmus werden auf den Projektionsflächen in 360 Grad Flugzeuge zum Start gebracht oder zur Landung geführt. Je nach Wahl oder Herkunft der Lotsenlehrlinge können alle deutschen Großflughäfen und ein paar andere europäische eingespielt werden.

Heute ist Hamburg dran. Und, welch Wunder, in der Fiktion ist der Riesenairbus A380 bereits im Einsatz. Behutsam wird er vom Gate zur Startbahn dirigiert; dann nimmt er Anlauf und hebt ab, die Nase steil nach oben. Nicht nur Hamburger Politikerherzen würden jetzt höher schlagen . . .

Zum Genuss bleibt dem Probanten keine Zeit: Zur Abrundung des lehrreichen Tages bitten die DFS-Leute ins Cockpit. Vom rund 70 000 Euro teuren Flugsimulator aus soll das Auge für eine Landung geöffnet werden. Bitte anschnallen, ab geht's. Die Cessna B 200 Turboprop liegt ruhig in der Luft und nähert sich dem Frankfurter Flughafen. Die Jungs vom Tower weisen einen Korridor für eine Warteschleife zu. Fluglehrer Sascha Klösters hat Seitenwind, andere Wetterdaten und das Flugzeuggewicht realitätsnah eingespeichert: "Sie müssen nur auf das Fadenkreuz achten." Okay, Chef! Irgendwie aber kommt die Kiste ins Wackeln. Warnlichter blinken, Zahlen rattern, das Steuer liegt bleiern in den Händen. Der Hobby-Kapitän kommt ins Schleudern und bittet um Erklärung: "Was hat das zu bedeuten?"

"Wir befinden uns in der Sturzspirale", meint der Fluglehrer trocken. Er lächelt, stellt den Simulator ab und bietet einen Kaffee an. Herzlichen Dank, aber lieber nicht. Die Hände zittern zu sehr.