Kältewelle: Schon hunderte Tote in ganz Europa - wie paßt das mit der Erderwärmung zusammen? Berlin so kalt wie seit 64 Jahren nicht mehr. Eisbrecher müssen Kohlefrachtern den Weg zum Kraftwerk freimachen.

Hamburg. Kühlhäuser sind gemeinhin zum Kühlen da. Doch seit gestern werden Hunderte im ganzen Land beheizt. Vor allem jene, die Lebensmittel im Bereich zwischen null und zwölf Grad Celsius lagerten, müßten gegen die eisige Kälte dieser Tage anheizen. Dabei handele es sich vor allem um Molkereiprodukte, Schokolade und frisches Fleisch, teilte gestern der Verband Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen mit.

Deutschland - ein Kühlhaus. Mit Tiefstwerten bis unter minus 34 Grad war der Montag der bisher kälteste Tag in diesem Winter. Rekordwerte gab es vor allem im Osten und Südosten. Am unbewohnten bayerischen Funtensee wurden am Morgen minus 34,8 Grad gemessen, im bayerischen Haidmühle zitterten die Bewohner bei minus 27 Grad, in Morgenröthe-Rautenkranz in Sachsen bei minus 24,5. In Berlin war es mit 17,8 Grad Frost so kalt wie seit 64 Jahren nicht mehr.

Bundesweit sind seit Sonntag mindestens vier Menschen erfroren. In Wolfen (Sachsen-Anhalt) starb eine gehbehinderte 74jährige, als sie auf dem Weg zum Briefkasten stürzte und nicht wieder aufstehen konnte. Ebenfalls in Sachsen-Anhalt wurde ein Jogger auf einem Feld tot aufgefunden. Im niedersächsischen Hameln erfror ein 68jähriger nach einem Sturz wenige Meter von seinem Haus entfernt. Im hessischen Wiesbaden starb ein 39 Jahre alter Obdachloser.

Schmerzhaft büßen mußte ein zehnjähriger Junge im oberfränkischen Selb eine Mutprobe: Seine Zunge fror an einem Laternenmast fest. Er habe vor Freunden ausprobieren wollen, ob er bei minus 18 Grad tatsächlich am Metall hängenbleiben könne, sagte ein Polizeisprecher. Rettungssanitäter hätten den Schüler mit warmem Wasser aus seiner mißlichen Lage befreit. Außer blutenden Lippen und einem gehörigen Schrecken habe der Junge keine Verletzungen davongetragen.

Auf den Straßen hatten die Pannenhelfer alle Hände voll zu tun. "Wir werden zu fast doppelt so vielen Pannen gerufen wie sonst", sagte ADAC-Sprecher Jürgen Grieving. "Meist sind es Probleme mit der Batterie." Auch der Schiffsverkehr litt unter der Kälte. Die Oder, die seit Tagen gesperrt ist, fror weiter zu. Auf den Berliner Wasserstraßen fahren Eisbrecher im Zwei-Schicht-Betrieb, um Kohlefrachtern den Weg zu den Kraftwerken freizumachen. Der Bereitschaftsdienst der Deutschen Bahn muß eingefrorene Weichen mit Miniflammenwerfern auftauen, damit verklebte Schienenzungen sich lösen und wieder sauber schließen.

Doch sind dies vergleichsweise geringfügige Probleme, wenn man nach Osteuropa schaut. Bei Nachttemperaturen bis zu minus 32 Grad starben in Polen bislang 150 Menschen. Unter den Opfern sind 64 Obdachlose, von denen die meisten alkoholisiert an Unterkühlung gestorben sind.

In Rußland kamen nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax seit Beginn der Kältewelle vergangene Woche mindestens 83 Menschen ums Leben. In den baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland waren in den vergangenen Tagen mindestens 41 Menschen erfroren. Die Ukraine zählte 26 Opfer. In der Region Lugansk im Osten der Ukraine sind bei Temperaturen bis zu minus 34 Grad rund 60 000 Menschen ohne Heizung, weil ein Kraftwerk ausgefallen ist.

Im tschechischen Atomkraftwerk Temelin fiel ein Reaktorblock für mehrere Stunden aus. Durch den extremen Temperaturabfall sei der Meßfühler eines Transformators in seiner Funktion beeinträchtigt worden, teilte ein Sprecher des Atomkraftwerks mit. In der Folge sei die Leistung des Reaktors um 38 Prozent gesunken, und der Reaktorblock habe für fünf Stunden vom Netz genommen werden müssen.

Der osteuropäischen Kälte müssen hierzulande auch die Tiere in den Zoos trotzen. Für Löwen, Tiger und Erdmännchen gibt es im Zoo Hannover kuschlige Plätzchen - sie haben Wärmeplatten in ihren Gehegen. Zudem steht bei den arktischen Temperaturen Schichtbetrieb an: Da auf vielen Anlagen mehrere Tierarten leben, wechseln sich die Tiere beim "Freigang" einfach ab.

Mitarbeiter des Zoos Hannover achten zudem bei strengem Frost darauf, daß der "Sambesi"-Fluß nicht zufriert - ein Lieblingsplatz der Flamingos. Bei eisigen Stellen sei die Verletzungsgefahr für die Tiere zu groß, sagte eine Zoo-Sprecherin. Der Frost setzt vor allem den afrikanischen Tieren zu. Verkürzte Auslaufzeiten und höher gedrehte Heizungen seien an der Tagesordnung, hieß es in den Zoos in Osnabrück und Nordhorn. "Die Elefanten bekommen sonst Frostbeulen an den Ohren", sagte Osnabrücks Zoodirektor Wolf Everts.

Daß Wodka kein geeignetes Mittel dagegen ist, mußten die Tierpfleger im Zoo der russischen Stadt Jaroslawl lernen. Sie hatten große Mengen von Wodka ins Trinkwasser ihrer vor Kälte zitternden Elefanten geschüttet. Die kamen daraufhin in Rage, begannen zu randalieren und rissen Heizkörper aus den Verankerungen.