Robinson Crusoe: Auf seiner Insel im Stillen Ozean soll ein Schatz aus dem 18. Jahrhundert geortet worden sein. Scharen von Glücksrittern machen sich auf dem Archipel Juan Fernandez an die Arbeit. Doch wie kam der Schatz, dessen Ausmaß nur vermutet wird, dorthin?

Hamburg. Man schreibt das Jahr 1714. Fünf spanische Kriegsschiffe im Hafen von Vera Cruz am Golf von Mexiko rüsten sich zu gefährlicher Fahrt: Sie sollen, so befiehlt es der neue König Philipp V. in Madrid, den größten Schatz der Neuen Welt nach Spanien bringen. Doch der Oberbefehlshaber der Flotte, Generalkapitän Don Juan Esteban Ubilla y Echevaria, hat ganz andere Pläne: Er hat einst auf die Fahne des Habsburgers Karl II. geschworen - der frischgekürte Monarch aber stammt aus französischem Adel und gilt ihm als Usurpator. Bald nach dem Auslaufen nimmt Ubilla nicht Kurs auf Europa, sondern steuert nach Süden.

Drei Jahrhunderte später führt die treue Untreue des Spaniers zum aufregendsten Schatzfund der Neuzeit: Ausgerechnet auf der Insel des legendären Abenteurers Robinson im Stillen Ozean wollen Glücksritter die Fracht der Flotte von Vera Cruz geortet haben - schier unglaubliche 800 Tonnen, Edelsteine und andere Pretiosen im Wert von bis zu acht Milliarden Euro.

Und auch diesmal ist die Frage des Eigentums nicht ganz eindeutig zu beantworten: Der Chilene Juan Salinas (39), ein in Köln zum Ingenieur graduierter Erfinder und Inhaber der Sicherheitsfirma Wagner Technologies, will den größten Schatz der Welt mit seinem High-Tech-Suchroboter "TX Aranja" (spanisch "Spinne") an drei verschiedenen Stellen des Hügels "Tres Puntas" 15 Meter unter dem Erdboden gefunden haben und die Hälfte behalten.

Der chilenische Staat, zu dem die Insel gehört, will alles. Und der US-amerikanische Schatzsucher Bernard Keiser (54), der seit mehr als neun Jahren auf der Insel forscht, will der Konkurrenz noch im letzten Augenblick ein Schnippchen schlagen - und mit ihm einige Dutzend Abenteurer aus aller Welt, die wie auch viele einheimische Fischer jetzt jede Nacht mit der Spitzhacke unterwegs sind.

"Einen solchen Rummel haben wir noch nie erlebt", stöhnt Bürgermeister Leopoldo Gonzalez glücklich. "Unsere 140 Gästebetten sind ausgebucht, und aus Valparaiso fliegen immer neue Glückssucher ein. Einige Spanier verlangen sogar, ich solle den Schatz beschlagnahmen und der Regierung in Madrid als den wahren Eigentümer übergeben. Dabei haben die Spanier das Gold damals selber geraubt!"

Wohl wahr: Der Ursprung der tonnenschweren Kostbarkeiten liegt, so die am häufigsten vorgebrachte These, nicht in Mexiko, sondern in Peru. Dort zerstört Francisco Pizarro 1533 das Inkareich und bringt den letzten Herrscher Athahualpa um, nachdem dieser, um sein Leben zu retten, einen ganzen Saal mit Gold füllen läßt. Das wertvollste Stück des Schatzes heißt "Rosa de los Vientos" ("Rose des Windes") und zierte einst als Halsband die Ehefrau des ermordeten Inka-Kaisers.

180 Jahre später ist Spanien durch einen 13jährigen Erbfolgekrieg tief zerrissen: Treue Anhänger des verstorbenen Habsburgers Karl II. (1665-1700) stehen gegen die Günstlinge des Bourbonen Philipp V. (1700-1724). Der Krieg endet erst, als Frankreichs Gegner ihre Ansprüche befriedigt sehen: Österreich erhält die spanischen Niederlande, Teile Norditaliens, Neapel und Sardinien. England sackt Gibraltar, Menorca und riesige Kolonien in Nordamerika ein. Dafür darf Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. seinen Thronprätendenten installieren.

Der neue König Philipp V. will gleich mal Kasse machen und schickt Orders in seine Kolonien: Er braucht Gold, sehr viel Gold, und Silber, sehr viel Silber. Ganze Flotten machen sich auf den Weg. Englische und holländische Piraten legen sich in den Wind. Generalkapitän Ubilla kennt die Gefahr: Sie lauert nicht nur in der Karibik, sondern auch im Pazifik, den spanische Schiffe durchqueren müssen, wenn sie die Schätze Perus und Boliviens nach Europa transportieren wollen. Es gibt nur einen Weg zu verhindern, daß das Inka-Gold entweder an den verhaßten Usurpator oder an die gefürchteten Korsaren fällt: es auf einer einsamen Insel zu verstecken.

Eine einsamere Insel als die des Romanhelden Robinson gibt es weit und breit nicht. Das leibhaftige Vorbild der weltbekannten literarischen Figur, der schottische Seemann Alexander Selkirk, lebt dort 1704-1709 in völliger Weltferne. Damals heißt die Insel noch Mas a Tierra. Auf ihr läßt Ubilla angeblich den Schatz vergraben.

Sind es wirklich unwahrscheinliche 800 Tonnen oder doch eher nur die 800 Holzfässer, die andere Überlieferungen nennen? Haben britische Piraten den Schatz schon bald entdeckt und heimlich nach England geschafft? Versucht der spanische Generalkapitän später selbst ihn zu heben, fällt er dabei in einem Gefecht? Oder stimmt es vielleicht, daß er den Lageplan den Engländern übergab, worauf im Jahr 1761 Captain Cornelius Webb mindestens einen Teil des Schatzes findet, aber wegen eines Lecks in seinem Schiff wieder zurückbringen und von neuem verbuddeln mußte?

Es scheint wie bei jeder Schatzsuche: Jede Antwort zeugt drei neue Fragen, bis tatsächlich etwas auf dem Tisch liegt. Die Rechtslage scheint Auslegungssache: Nach chilenischem Gesetz gehört bei Schatzfunden eine Hälfte dem Staat und eine dem Entdecker. Doch bei archäologischen, anthropologischen und paläontologischen Funden gilt eine andere Bestimmung: Solche Kulturwerte gehören dem Staat allein, und darauf will sich die Regierung nun berufen.

Die ersten Gewinner indes stehen bereits fest: die Insel und ihre Menschen. "Das Gold gehört uns, denn wir haben es drei Jahrhunderte lang gehütet", sagt der pfiffige Bürgermeister Gonzalez. "Und wenn es nicht gefunden wird, ist es auch nicht übel: Dann bleibt es hier, und wir sind künftig nicht nur ein Ziel für Literaturtouristen, sondern auch für Schatzsucher aus aller Welt."