Die Mutter hatte ihre beiden Söhne abgegeben, weil sie mit ihnen nicht zurechtkam. Polizei reagierte nicht.

London. Sie sind noch so klein, diese beiden zehn und elf Jahre alten Brüder. Sie können kaum über die Brüstung schauen, welche die Anklagebank von dem übrigen Raum im Jugendgericht von Doncaster (Süd-Yorkshire) trennt. Wie Schuljungen strecken sie die Hand hoch, wenn der Richter sie fragt. Sie sind noch so klein, aber schon groß genug, an zwei Kindern ihres Alters, einem Neun- und einem Elfjährigen, einen Mordversuch verübt zu haben. Deswegen stehen sie nun vor Gericht. Das straffähige Alter beginnt in England bei zehn Jahren.

Der Fall hat die Briten entsetzt wie kein Verbrechen der jüngsten Zeit; er scheint zu bestätigen, was der Anführer der konservativen Partei, David Cameron, seit Längerem vorträgt, wenn er von der britischen Gesellschaft als einer teilweise "broken society" spricht, zerbrechend und schon zerbrochen an ihren ungelösten, brennenden sozialen Problemen.

Die Brüder - Namen wurden nicht veröffentlicht - haben ihre Opfer unter einem Vorwand in ein ungenutztes Grüngelände nahe Edlington gelockt und sie dort mit Messern angegriffen. Die Schüler hatten sich geweigert, Handys, Taschengeld und ihre Turnschuhe herauszurücken. Was folgte, muss sich zu einer regelrechten Folter gesteigert haben. Beide Kinder erlitten Messerstiche über den ganzen Körper, wurden mit Ziegelsteinen, Stöcken und Fußtritten malträtiert, auch mit glühenden Zigaretten, und zuletzt zu sexuellen Spielen missbraucht. Der Ältere - er ist der Onkel des Neunjährigen - wurde schließlich bewusstlos eine zehn Meter tiefe Schlucht hinuntergestoßen. Der Jüngere konnte sich bis zur Hauptstraße des Ortes schleppen. Sofort begann die Suche nach seinem Kameraden, der gerade noch rechtzeitig in ein Krankenhaus nach Sheffield geflogen werden konnte. Er liegt noch immer auf der Intensivstation.

Die Öffentlichkeit ist erschüttert, nicht nur über den Vorfall und die Verrohung, wie sie bei immer jüngeren Kindern zutage tritt, sondern auch über die Fehler der Sozialbehörden der für Edlington verantwortlichen Kommune Doncaster. Die beiden Angeklagten waren als nicht mehr kontrollierbar von ihrer Mutter abgegeben worden, die, arbeitslos und alleinerziehend, noch fünf weitere Kinder versorgen muss. Aber die Sozialaufsicht von Doncaster gab die zwei Jungen, statt sie unter strenge Beobachtung zu stellen, an Pflegeeltern ab. Die Schüler demolierten Autos, belästigten ältere Bürger. Auf ihr Konto geht ein ähnlicher Überfallversuch auf einen Elfjährigen: Die Polizei behandelte die Vorgänge ohne Dringlichkeit und sieht sich nun ihrerseits schweren Vorwürfen ausgesetzt.

Der Fall erinnert die Briten an ein vergleichbares Verbrechen 1993. Damals entführten zwei Zehnjährige den fast dreijährigen James Bulger aus einem Einkaufszentrum nahe Liverpool, folterten und töteten ihn schließlich. Großbritannien ringt mit der Verwahrlosung in Teilen der Jugend wie mit einer Seuche. Und die Probleme werden unter der Wucht der Wirtschaftskrise immer größer.