Sieben Geschwister stritten um 102 000 Euro. Josef N. setzte dem Ganzen ein Ende und schoss im Gerichtssaal um sich. Dabei tötete er sich und eine Verwandte. Jetzt wurde der Abschiedsbrief gefunden - angeblich wurden der Täter und seine krebskranke Frau jahrelang von Verwandten terrorisiert.Bilder von dem Attentat.

München. Als der erste Schuss fällt, springt Steuerfahnderin Juliane Watzke in Panik aus dem Fenster im ersten Stock des Gerichtsgebäudes. "Ich habe sofort an Winnenden gedacht und einen neuen Amoklauf befürchtet", sagt sie geschockt, aber unverletzt.

Landgericht Landshut, gestern Morgen, 10.15 Uhr: Verhandlungspause im Erbschaftsstreit zwischen Rentner Franz Josef N. (60) aus Dingolfing und Schwägerin Brigitte G. (48). Seit Jahren ringt die Familie um ein Erbe, das noch zu D-Mark-Zeiten fällig wurde. Sieben Geschwister und ihre Ehepartner streiten sich um ein Haus in Augsburg im Wert von 200 000 Mark (102 000 Euro). An diesem Morgen geht es um einen Randaspekt, um eine Auskunftsklage. Doch der Beklagte Franz Josef N., der früher als Krankenhauskoch arbeitete, setzt dem Familienzwist ein dramatisches Ende: Auf dem Flur vor dem Sitzungssaal zieht er plötzlich einen Smith & Wesson-Revolver des Kalibers.

357 Magnum und schießt Brigitte G. in den Kopf, eine weitere Kugel trifft ihren Rechtsanwalt in die Brust - er bricht blutüberströmt zusammen. Dann feuert der Täter auf seine zweite Schwägerin, die er zum Glück nur am Arm trifft. Anschließend geht er seelenruhig zurück in den Sitzungssaal 8 und fordert den Richter auf, den Saal zu verlassen. Als der Richter sich weigert, gibt der Rentner zwei Warnschüsse ab. Als er allein ist, hält sich Franz Josef N. die Waffe an den Kopf und tötet sich selbst - mit seinem sechsten Schuss. "Die Amoklage hat sich aus heiterem Himmel ergeben", sagt Polizeisprecher Leonhard Meyer. "Zwei Angriffs- und zwei Rettungsteams drangen schon kurze Zeit später in das Gerichtsgebäude ein." Hubschrauber kreisten zur Beobachtung über dem Tatort. Dutzende Angestellte hatten sich in ihren Büros verschanzt. Auf den Fluren war Panik ausgebrochen. Mehrere Menschen erlitten schwere Schocks, mussten ärztlich behandelt werden. Doch bevor ein Spezialkommando eingreifen konnte, war der Spuk vorbei.

Brigitte G. konnte von den Notärzten zunächst wiederbelebt werden, doch sie starb noch im Gericht. Die beiden Verletzten wurden mit Rettungshubschraubern in Krankenhäuser gebracht.

"Dabei hatte alles nach einer gütlichen Einigung ausgesehen", sagte Gerichtspräsident Karl Wörle. Franz Josef N. hatte seiner Schwägerin die verlangten Auskünfte gegeben. "Nichts deutete auf eine Gewalttat hin."

Der Täter war schon seit Jahrzehnten Sportschütze bei den königlich-privilegierten Feuerschützen. Für den Revolver und zwei weitere Waffen hatte er seit 1974 eine Waffenbesitzkarte. Normalerweise bewahrte er alles ordnungsgemäß in seinem Waffenschrank auf. Aber nicht an diesem Dienstag. Sein Schwiegersohn rief nach der Bluttat die Polizei an, er habe zwei Abschiedsbriefe gefunden - einer handgeschrieben, der andere am Computer getippt. Darin heißt es unter anderem, dass er und seine krebskranke Frau über die Jahre von den Verwandten mit "Klagen, Anzeigen, Diffamierungen und Beleidigungen regelrecht terrorisiert" worden seien. Zuletzt sei ihm "eine Zwangsvollstreckung mit Bußgeldandrohung" zugestellt worden. "So geht es nicht weiter. Wenn man Angst vor der Post haben muss, da fast täglich Anwalts-, Gericht- oder Post von der Staatsanwaltschaft kommt. Und wir haben niemals etwas Unrechts getan ... Heute ist wohl mein letzter Morgen. Ich fühle mich nicht als Mörder, wenn es passiert. Ich werde diese Menschen für den jahrzehntelangen Terror bestrafen. Ich zahle dafür den höchsten Preis: Mit meinem Leben!"

Die bayerische Justizministerin Beate Merk kündigte den "verstärkten Einsatz von Sicherheitsschleusen an den Gerichtseingängen" an. Waffenkontrollen gab es im Landgericht Landshut nur bei bestimmten Strafprozessen.