Kleinstädte und Dörfer wurden ausgelöscht. Umweltschützer fürchten: Das Inferno wird nicht das letzte sein, das über das Land hinwegfegt.

Melbourne/Hamburg. Es war nur ein Regenschauer. Ein paar Tropfen, die die lang ersehnte Abkühlung für die Besucher eines Konzerts im Garten des Melbourner Zoos bringen sollten. Doch stattdessen berichteten Augenzeugen später von einem grauen Schmierfilm, der sich wie ein Trauerschleier über das Gelände legte: Der Regen hatte gleichzeitig auch Asche über die Konzert-Gesellschaft in der Vier-Millionen-Stadt niedergehen lassen - und mit ihr die traurige Gewissheit, dass vor den Toren der zweitgrößten Metropole des Landes ein Inferno tobt.

Was als Hitze-Rekordwochenende angekündigt war, kam als Katastrophe über den Süden Australiens. Nie zuvor gemessene Temperaturen von bis zu 47 Grad Celsius, eine anhaltende Dürre und Sturmböen haben die schlimmsten Buschfeuer entfacht, die der Kontinent je erlebt hat. Am Montag wüteten noch mehr als 30 Brände in den Bundesstaaten Victoria, New South Wales und South Australia. Die Zahl der Opfer steigt unaufhörlich: Bis gestern bargen die Rettungskräfte die Leichen von mindestens 170 Menschen. Die Zeitung "The Australian" berichtete, dass mindestens 230 Todesopfer zu befürchten seien. Mehr als 750 Häuser wurden zerstört. Dutzende Menschen liegen mit Verbrennungen in Krankenhäusern. Im Alfred Hospital, das die meisten Opfer aufgenommen hat, sind die Morphium-Vorräte ausgegangen.

3300 Quadratkilometer Land - mehr als die vierfache Fläche Hamburgs - sind ein Raub der Flammen geworden. Und ein Ende ist nicht absehbar. In den lokalen Nachrichten werden Bilder von Kleinstädten gezeigt, in denen kein Haus mehr steht. Menschen in Auffanglagern erzählen von ihrer Flucht vor dem Feuer. Die Nachrichtensprecher im Fernsehen sprechen mit heiseren Stimmen zur Nation, es fließen Tränen - live auf Sendung.

Mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde rollte die Feuerwalze teils unaufhaltsam voran. Zwischen Leben und Tod lagen oft nur Minuten: "Niemand hat damit gerechnet, dass sich das Feuer so schnell ausbreiten würde", sagte Richard Neumann (55) gestern dem Abendblatt. Seit 13 Jahren lebt der Computerfachmann aus Hamburg in Melbourne. "Es gibt hier praktisch jedes Jahr im Sommer Buschfeuer. Das hat man normalerweise relativ gut unter Kontrolle." Doch dieses Mal ist alles anders. Zwar seien die Menschen gewarnt worden. "Man sollte sich bereithalten, die gefährdeten Gebiete zu evakuieren. Doch das Ausmaß der Gefahr wurde unterschätzt." Die Feuerwehr sei überfordert und machtlos gewesen.

Inzwischen hat nicht nur Neuseeland 100 Mann Verstärkung zugesagt, um weiter gegen die Flammen zu kämpfen. Auch das Militär und Zehntausende Freiwillige sind im Einsatz. Die Behörden warnten die Bevölkerung gestern vor einer Ausweitung der Brände. "Wir haben hier eine ziemliche Dürre. Wenn wieder Sturmböen aufkommen, ist das Feuer praktisch nicht mehr zu kontrollieren", fürchtet auch Richard Neumann. "Angst habe ich nicht. Aber die Situation ist sehr bedrückend."

Eine der Ortschaften, die es besonders schlimm getroffen hat, ist Kinglake, etwa 100 Kilometer nordöstlich von Melbourne. Am Wochenende rollte eine Feuerwalze durch den Ort, in dem rund 600 Menschen wohnten. Von der idyllische Gemeinde ist nicht viel mehr als der Name auf einer Landkarte geblieben. "Es sieht wie Hiroshima aus, wie nach einer Atombombe. Alle sind weg. Alle. Ihre Häuser sind verschwunden. Sie sind alle tot in den Häusern dort. Alle sind tot", sagte Christopher Harvey, der überlebte. Christine Halls rannte mit ihrer Familie um ihr Leben, als die Flammen ihr Haus erreichten: "Es war furchterregend. Man sagt, Buschfeuer klingen wie ein heranrasender Güterzug. Aber das war wie ein Güterzug, der den ganzen Horizont ausfüllt. Ein derartiger Lärm und eine solche Kraft - unglaublich."

Auf der Straße, die aus dem Ort herausführt, stehen Autos mit verbrannten Leichen derer, die versucht hatten, den Flammen zu entkommen. Doch im dichten Rauch hatten die Fahrer wohl so gut wie nichts mehr erkennen können. Die Identifizierung der teilweise bis zur Unkenntlichkeit Verbrannten wird Wochen dauern.

Ein ähnliches Schicksal wie Kinglake teilen auch Strathewen und Marysville. Die Behörden erklärten beide Orte zum "Tatort", Ermittler prüfen, ob hier tatsächlich Brandstifter am Werk waren. "Es gibt keine anderen Worte, um dies zu beschreiben, als Massenmord", sagte Australiens Ministerpräsident Kevin Rudd sichtlich ergriffen. Hass und Verachtung ist in den Stimmen der "Melbournians" zu hören, wenn von den Kriminellen die Rede ist, die einige der rund 400 tödlichen Feuer gelegt haben könnten. Es werde Jahre dauern, bis die Ortschaften wieder aufgebaut seien, so Rudd. Am Montag kündigte der Regierungschef ein Hilfspaket von umgerechnet 5,2 Milliarden Euro an. Vize-Premierministerin Julia Gillard sprach unterdessen von "einem der schwärzesten Tage in der australischen Geschichte".

Das Parlament gedachte am Montag der Opfer - darunter auch der in Australien bekannte ehemalige Nachrichtensprecher Brian Naylor und seine Frau. 1983, als die Aschermittwochsbrände in Australien 75 Menschenleben forderten, hatte Naylor von der bis dato größten Brandkatastrophe des Kontinents berichtet. Diesmal konnte er den Flammen nicht entkommen. Im Haus des Ehepaares wurden die Leichen nebeneinanderliegend gefunden.

Solche Schicksale dürften die Australier weiter begleiten: Wissenschaftler und Umweltschützer machen den Klimawandel und die mangelhafte Brandprävention für die ungewöhnlich heftigen Feuer verantwortlich. In Zukunft könnten sie sogar noch verheerender sein. "Wir werden wohl umdenken müssen, um besser gewappnet zu sein", sagt auch Auswanderer Neumann. Fürs Erste jedoch setzen die Menschen der Feuerwalze eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegen: "Die Leute hier halten jetzt alle zusammen. Australien ist berühmt für die Spendenfreudigkeit", sagt Neumann. "Ansonsten hoffen wir alle auf etwas Regen." Und dass er beim nächsten Mal keine Asche mit sich bringen wird.