Aufsichtsrats-Chef Manfred Ertel spricht über die immer populärer werdende Initiative HSVPlus und die Defizite und Probleme, die es abzustellen gilt.

Hamburg. Seit Ex-Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff die Initiative HSVPlus vorgestellt hat, wird im HSV intensiv über die Zukunft des Vereins debattiert. Das Abendblatt will diese Diskussion bis zur Mitgliederversammlung im Januar in allen Facetten abbilden und lässt Befürworter und Gegner zu Wort kommen. In dieser Woche sprachen wir mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Manfred Ertel.

Hamburger Abendblatt: Herr Ertel, sind Sie auch eines von fast derzeit 13.463 Facebook-Mitgliedern, die die Initiative HSVPlus mit einem Klick unterstützen?

Ertel: Nein, und ich warne vor einer Reichweitenillusion beim Internet. Sicher sind die „Likes“ Ausdruck einer Sehnsucht nach Erfolg bei HSV-Mitgliedern und Fans, aber auch einer diffusen Stimmung, dass sich dafür irgendwas ändern muss – dieses „Irgendwas“ ist aber ein Problem. Weil diese Stimmung zum großen Teil von Leuten bedient wird, die sich seit Jahren nicht mehr ernsthaft mit dem Innenleben des HSV befasst haben.

Wollen Sie etwa das große Echo, das HSVPlus ausgelöst hat, kleinreden?

Ertel: Gar nicht. Aber wenn als ein Hauptgrund für eine Strukturreform genannt wird, dass der Aufsichtsrat durch seine Größe die Arbeit verzögert und den HSV handlungsunfähig macht, dann ist das Unsinn, egal ob das von sogenannten Experten kommt oder von HSV-Legenden. Das war nie unser Problem. Aber es zeigt, dass es viel zu viel um Stimmungen geht, und viel zu wenig um die Frage: Was sind denn tatsächliche Defizite des HSV, und welche sind wirklich strukturell begründet? Sind zum Beispiel Indiskretionen strukturbedingt? Nein. Ist sportlicher Misserfolg strukturbedingt? Nein. Und für jedes erfolgreiche Beispiel einer Ausgliederung einer Profiabteilung wie den FC Bayern gibt es auch ein negatives Beispiel wie aktuell Werder Bremen.

Vereinfacht gesagt hat sich HSVPlus einen modernen HSV als Ziel gesetzt, der offen ist für Investorengelder. Was ist so schlecht daran?

Ertel: Ich möchte auch einen modernen HSV. Allerdings glaube ich nicht, dass Ausgliederung ein Allheilmittel für mangelnden sportlichen oder wirtschaftlichen Erfolg ist. Die letzten Insolvenzen gab es doch gerade bei ausgegliederten Vereinen wie Alemannia Aachen, Kickers Offenbach oder MSV Duisburg. Sportlicher Erfolg hängt nicht von Strukturen ab, sondern von handelnden Personen.

Sie sind also partout gegen eine Ausgliederung?

Ertel: Wenn wir uns von Stimmungen leiten und von Kampagnen von außen beeindrucken lassen, dann droht dem HSV so etwas wie eine feindliche Übernahme. Die Diskussion um Ausgliederung ist doch längst nicht auf Hamburg beschränkt. Nur ist man im europäischen Ausland nach einer Reihe von Negativerfahrungen auf einem ganz anderen Weg, zurück zu den Mitglieder-Vereinen. In Europa gilt der HSV e.V. deshalb vielen als Vorbild.

Wird die Diskussion über Ausgliederung auf der Sitzung des Aufsichtsrats an diesem Donnerstag geführt?

Ertel: Offiziell ist das kein Tagesordnungspunkt. Aufsichtsräte beteiligen sich aber natürlich, so wie ich, als einfache Mitglieder an dieser Debatte. Mich und andere stört zum Beispiel, dass Rieckhoffs Modell die Mitbestimmungsrechte der Mitglieder praktisch abschafft. Bei allem Respekt, aber warum sollen der von mir geschätzte Supporters-Chef Christian Bieberstein oder andere Gremienvorsitzende bei Personalentscheidungen für die HSV Profifußball AG eine größere Kompetenz haben als die breite Mehrheit einer Mitgliederversammlung?

Muss sich denn aus Ihrer Sicht überhaupt etwas beim HSV ändern?

Ertel: Natürlich, ich glaube es gibt Defizite und Probleme, die wir dringend abschaffen müssen. Wir sollten zum Beispiel das Wahlverfahren zum Aufsichtsrat durch Abschaffung der Delegierten ändern, damit jedes Mitglied nur noch eine Stimme hat. Wir können auch über die Größe nachdenken, selbst wenn das nicht unser Hauptproblem ist. Maulwürfe bleiben Maulwürfe, ob bei elf oder sieben Mitgliedern. Ich kann mir vorstellen, dass künftig nur noch sechs Mitglieder direkt gewählt werden, und die dann drei weitere Aufsichtsratsmitglieder, Hamburger Persönlichkeiten, selbst bestimmen. Warum soll nicht ein finanzstarker Gönner des HSV einen Vertrauensmann in den Aufsichtsrat entsenden können? Und natürlich sollte man auch darüber nachdenken, dass der Aufsichtsrat künftig nicht mehr jeden einzelnen Transfer absegnen muss, sondern ein Transferbudget. Das führt zwar nicht zu besseren und schnelleren Ergebnissen, vermindert aber das Risiko von Indiskretionen. Aber ich bleibe dabei: Strukturen schießen keine Tore.

Herr Ertel, das ist ein Totschlagargument. Strukturen sollen Weichen stellen.

Ertel: Aber genau dieses Totschlagargument wird doch gerade von Anhängern der Ausgliederung überstrapaziert. Es wird der Eindruck erweckt, dass der HSV nur deshalb nicht in der Champions League spielt, weil wir noch nicht ausgegliedert haben. Gegenbeispiele wie Schalke, Freiburg oder Stuttgart, die sich letzte Saison für Europa qualifizierten, zählen nicht mehr. Zudem wird suggeriert, dass durch eine Ausgliederung plötzlich zahlreiche Investoren dem HSV bedingungslos Geld zur Verfügung stellen. Beides ist Unsinn.

HSV-Investor Klaus-Michael Kühne hat sehr wohl bekräftigt, sich nach einer Ausgliederung wieder finanziell engagieren zu wollen.

Ertel: Allgemein muss man zunächst mal klarstellen, dass strategische Partner kein „kostenloses Geld“, wie behauptet, zur Verfügung stellen, sondern dafür auf ewig Gegenleistungen erhalten, etwa im Marketing. Für den Verein bleibt es dagegen ein Einmaleffekt. Ich möchte jedenfalls nicht in einem Verein sein, der ohne jede Zustimmung seiner Mitglieder 24,9 Prozent des Vereins und insgesamt fast 50 Prozent an Investoren verkaufen kann. Ich möchte nicht von einem Scheich fremdbestimmt werden. Und speziell zu Herrn Kühne: Ihm stand und steht die HSV-Tür offen. Allerdings hat er der Diskussion mit seiner Forderung, dass auf einen Schlag alle HSV-Köpfe rollen sollen, einen Bärendienst erwiesen. Herr Kühne könnte sich ein Denkmal in Hamburg setzen, wenn er für Jahre das Namensrecht des Stadions zurückkauft und mit dem Volksparkstadion ein Stück großer Tradition wiederbelebt. Aber dafür braucht es keine neuen Strukturen. Sondern nur handelnde Personen.