Das 1:5 in Hannover offenbarte erneut, dass der HSV die größten Probleme in der Abwehr hat. Ein neuer Innenverteidiger soll kommen.

Hamburg. So ganz hatte Thorsten Fink seinen Ärger auch an Tag 2 n. K. (nach der Klatsche) nicht verdaut. Als der HSV-Trainer, der bereits am Sonntag eine ausführliche Einzelkritik vor versammelter Mannschaft zum Besten gegeben hatte, mittags am Trainingsgelände vorfuhr, war dem 45-Jährigen die Wut über das 1:5 in Hannover noch immer anzumerken. "Das war ein Scheißtag von uns", sagte Fink, der vor der zusätzlichen Nachmittagseinheit deutliche Worte wählte: "Der eine oder andere sollte besser Gas geben, wenn er am Wochenende spielen will." Dabei ließ der Coach keine Zweifel aufkommen, dass sich das Betriebsklima in dieser Woche den Wintertemperaturen anpassen wird: "Ich brauche dem Team jetzt kein Selbstvertrauen zu geben. Die Jungs sollten wissen, was sie können. Sie müssen es nur abrufen."

Genau daran haperte es allerdings beim 1:5-Debakel in Hannover. Dabei hatte die Partie vor allem eines schonungslos offenbart: die größten Probleme hat der HSV in dieser Saison mit der Abwehrarbeit. "Insgesamt stimmt das Verhältnis und die Abstimmung zwischen Offensive und Defensive beim HSV noch nicht", sagt der frühere HSV-Verteidiger Stefan Schnoor, der mittlerweile als Fernsehexperte bei Sport1 arbeitet. Schnoor hat - im wahrsten Sinne des Wortes - gleich zwei zentrale Problem des HSV ausgemacht: die Innenverteidigung und die Besetzung des defensiven Mittelfelds.

"Besonders auf der so genannten Sechser-Position scheint mir der HSV noch nicht die optimale Lösung gefunden zu haben. Milan Badelj ist ein feiner Fußballer, der aber zu offensiv ausgerichtet ist", sagt Schnoor, der im ohnehin offensiv angelegten HSV-System einen zusätzlichen Mittelfeld-"Zerstörer" wie Tomas Rincon bevorzugen würde. Eine Variante, über die auch Fink nachgedacht hat, vor dem Heimspiel gegen Schlusslicht Fürth aber eher ausschließt: "Milan ist momentan nicht der Milan, den wir am Anfang kennengelernt haben. Aber gegen Fürth brauche ich eher einen spielstarken Mann wie ihn, Tomas könnte eine Option eine Woche später in Stuttgart sein."

Optimierungsbedarf gebe es laut Schnoor aber vor allem weiter hinten, wo sich neben Kapitän Heiko Westermann in der Saison kein Abwehrspieler etabliert hätte. "Der HSV braucht einen spielstarken Innenverteidiger, der wie die Dortmunder Subotic und Hummels oder Bayerns Dante nicht nur zerstören kann, sondern ein Spiel auch aufbauen kann, gleichzeitig auch die nötige Größe und Ausstrahlung hat", sagt Schnoor.

Tatsächlich konnte in der laufenden Saison lediglich Michael Mancienne auf bescheidendem Niveau bis zu seiner schweren Knöchelverletzung an der Seite Westermanns überzeugen. Paul Scharner, der bis Saisonende an Wigan Athletic ausgeliehen wurde, Slobodan Rajkovic, Jeffrey Bruma und Gojko Kacar konnten sich dagegen keinen Stammplatz in der Innenverteidigung erkämpfen. "Von all den Innenverteidigern, die der HSV zur Verfügung hat, traue ich die Rolle des spielstarken Abwehrmanns paradoxerweise am ehesten Gojko Kacar zu, der ja eigentlich zu den Verkaufskandidaten zählt", sagt Schnoor, und kritisiert: "Bedenkt man, dass der HSV mit Westermann, Bruma, Rajkovic, Mancienne, Kacar und dem verliehenen Scharner gleich mit sechs potenzielle Innenverteidiger in die Saison gegangenen ist, dann muss sich natürlich auch Sportchef Frank Arnesen kritische Fragen gefallen lassen. Hier muss er im Sommer nachbessern."

Das Fehlen eines spielstarken Innenverteidigers neben Heiko Westermann wurde selbstverständlich auch beim HSV längst erkannt. Bereits im vergangenen Sommer hatte Trainer Fink mit Dortmunds Felipe Santana und dem damaligen Basler David Abraham zwei Wunschkandidaten für die immer noch offene Position, die allerdings aus finanziellen Gründen nicht geholt werden konnten. Und obwohl Santana seinen Vertrag in Dortmund bis 2014 verlängerte und Abraham über den Umweg Getafe schließlich im Winter für vier Millionen Euro nach Hoffenheim wechselte, könnten beide Namen auch in diesem Sommer wieder aktuell werden. Wie das Abendblatt erfuhr, kann Dortmunds Edelreservist Santana nach der Saison für die festgeschriebene Ablöse von 1,5 Millionen Euro den BVB verlassen. Und auch Finks früherer Zögling Abraham dürfte bei einem Abstieg Hoffenheims für einen erschwinglichen Preis zu haben sein. Bevor für die neue Saison aber ein neuer Innenverteidiger geholt wird, muss zunächst noch die Verkaufsliste der Defensivprofis ganz offensiv abgearbeitet werden. Kandidaten sind weiterhin Rajkovic, Kacar und Scharner. Bei Bruma, der am Wochenende nach seiner Rot-Sperre wieder in die Anfangself rotieren könnte, muss in Kürze entschieden werden, ob er zurück zum Heimatverein FC Chelsea muss.

Über die endgültige Besetzung seiner Defensivreihe im kommenden Spiel gegen Fürth will sich Fink aber erst kurz vor dem Wochenende festlegen: "Die Jungs müssen sich jetzt neu beweisen", sagt der Fußballlehrer, ballt die Hand zur Faust und schlägt sich mit der Faust in die andere Hand: "Auf geht's."