Erstmals nach der Trennung von Ehefrau Sylvie spricht HSV-Profi Rafael van der Vaart in Abu Dhabi öffentlich über seine Gefühlslage.

Abu Dhabi. Rafael van der Vaart weiß ganz genau, was er in dieser Situation zu tun hat. Diese Situation, das ist der erste und einzige freie Nachmittag, den Coach Thorsten Fink den HSV-Profis am Sonntag im Trainingslager in Abu Dhabi gewährt. Und der Niederländer, kurze Hose, Poloshirt und Flipflops, hat vor allem eines vor: sich amüsieren. Am Strand ein wenig Farbe bekommen, einen Freund in Dubai treffen, essen, klönen und wieder zurück nach Abu Dhabi fahren. Das ist der Plan. "Ich will das Leben genießen, weil es am Ende doch nur darum geht", sagt der 29-Jährige.

Van der Vaart sitzt entspannt in einem Rattansessel auf der Terrasse des Fairmont Bab Al Bahr. Eine Fernsehkamera ist auf ihn gerichtet, zudem sitzt eine Handvoll von Journalisten um ihn herum. Über seine blauen Fußzehen hat er bereits gewitzelt, sein Nachmittagsprogramm hat er zum Besten gegeben, und auch sein zuletzt lädierter Oberschenkel war längst Thema. Doch die entscheidende Frage, die sich nach den vergangenen Tagen förmlich aufdrängt, beantwortet er erst nach dem kurzen Warm-up: "Mir geht es gut", sagt van der Vaart, zieht die Stirn in Falten und lächelt ein wenig gequält, "sehr gut."

Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass van der Vaart sich öffentlich den Fragen der Medienvertreter stellt. Die Bedingung für das Gespräch war, dass die vergangene Woche, über die zuletzt rauf und runter berichtet wurde, nicht ein weiteres Mal im Detail aufgearbeitet werden soll. "Ich lese momentan ganz einfach keine Zeitungen, bekomme das alles aber natürlich trotzdem mit." Seine Beziehungsprobleme mit Ehefrau Sylvie, die Geschehnisse des Silvesterabends, ob es einen Faustschlag ("FAZ") oder doch "nur" einen Stoß ("Bild") gegeben hat, wer wann welche Bilder per Twitter geschickt hat, all das soll nach den zahlreichen Schlagzeilen dieser Tage nur eines bleiben: privat. Und wenn man diese Woche nach Silvester so einfach mit einem Klick ausradieren könnte, dann wäre das, was der Fußballer da auf der Hotelterrasse in Abu Dhabi so sagt, auch durchaus glaubwürdig. Doch dass es Rafael van der Vaart wirklich gut geht, das fällt einem selbst 4900 Kilometer von Hamburg entfernt schwer zu glauben.

"Ich merke, dass das Team für mich da ist", sagt der Nationalspieler, "das freut mich." Und wirklich gibt es kaum einen Spieler, der den HSV-Profi nicht in den Arm genommen, ihm nicht ein paar aufmunternde Worte zugesprochen oder seine Hilfe angeboten hat. "Es ist bewundernswert, wie Rafael mit all dem Gerede umgeht", sagte Dennis Aogo. Er sei ein großer Junge, der diese Situation schon überstehen werde, meinte Marcell Jansen. Und René Adler, der niemals sein Privatleben so öffentlich führen will wie van der Vaart, hat dem Kollegen die Unterstützung der Mannschaft versprochen: "Braucht er uns, sind wir für ihn da."

Van der Vaart kratzt sich an seinem Fünftagebart, schaut abwechselnd in die Kamera und das Gesicht des jeweiligen Fragestellers. Via "Bild", der Zeitung, die die Inszenierung der "Beckhams von Hamburg" in den vergangenen Monaten perfektionierte, hatte er in den vergangenen Tagen bereits kundgetan, dass der HSV nun seine "Ersatzfamilie" sei, dass er sich voll auf das Training konzentriere und, dass er sich für seine Fehler entschuldigen wolle. Doch eines scheint dem "kleinen Engel", so sein Spitzname, noch wichtig. Sorgen, dass seine privaten Probleme sportliche Auswirkungen haben könnten, brauche niemand zu haben: "Ich bin Druck gewohnt. Als Topspieler muss man damit umgehen."

Einem Fußballprofi, der 103 Länderspiele bestritten, bei Real Madrid und Tottenham Hotspur gespielt hat und als Hoffnungsträger und Heilsbringer in Personalunion nach Hamburg zurückgekommen ist, dem darf man das ruhig glauben. "Rafael ist ein Mann. Er kann sehr gut mit Druck umgehen, das hat er immer wieder gezeigt", sagt auch Fink, der in Abu Dhabi lediglich ein längeres Gespräch mit van der Vaart geführt hat. Dass aber die Situation in Hamburg, wo der Noch-Ehemann vor dem Abflug in die Wüste von Medienvertretern sowohl am Trainingsplatz als auch am Flughafen umlagert worden ist, extrem war und ist, will van der Vaart keineswegs verhehlen. "In Hamburg habe ich mehr Druck als bei Real Madrid", sagt der Mittelfeldregisseur, "Bei Real war ich einer von vielen Stars, in Hamburg gucken alle auf mich."

+++ Kommentar: Die Geister, die van der Vaart rief +++

Ändern wird sich das in den kommenden Wochen mit Sicherheit nicht. "Eigentlich will ich nur Fußball spielen", sagt der Eppendorfer, der genau das auch jeden Tag macht. An diesem Montag wird van der Vaart im Testspiel gegen Lokomotiv Tashkent erstmals nach seiner Oberschenkelverletzung wieder in einem Spiel für den HSV auf dem Rasen stehen, spätestens beim Rückrundenauftakt in Nürnberg wolle er wieder bei 100 Prozent sein. Ob er wirklich glaubt, dass dann der große Rummel um seine Person wieder vorbei sein wird? "Das weiß ich nicht. Ich mache einfach das, was ich gut kann: auf dem Fußballfeld alles zu geben." Irgendwann zwischen den Fragen nach seiner Befindlichkeit und den Antworten über den zusätzlichen Druck wird auf der schattigen Hotelterrasse dann doch klar, dass da kein internationaler Popstar, kein Hochglanzpromi und eigentlich wohl auch kein Problemprofi sitzt. Endlich darf der Fußballer van der Vaart über Fußball sprechen, über die Saisonziele ("plötzlich reden alle von Europa"), über seinen Anspruch auf dem Platz ("eigentlich müsste ich jede Saison mindestens zehn Tore schießen") und über die Entwicklung der Mannschaft: "Am Anfang der Saison wurde noch jeder Sieg wie eine Meisterschaft gefeiert. Jetzt hat das Team eine ganz andere Ausstrahlung." Van der Vaart redet, gestikuliert, lächelt.

Kurz bevor das Gespräch beendet ist und sich der derzeit viel gefragte Fußballer am Strand ein wenig bräunen und entspannen darf, sagt der Star des HSV noch einen Satz: "Das Schöne am Fußball ist, dass sich alles schnell ändern kann." Es ist das Faszinierende an diesem Sport - und manchmal ist es die große und letzte Hoffnung des Alltags.

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schreibt täglich aus Abu Dhabi einen Brief an Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe