Unterschätzte Überflieger: Ohne den verletzten van der Vaart überzeugten Finks Sorgenkinder Rudnevs, Beister und Skjelbred beim HSV.

Hamburg. Wie mühsam der Weg nach oben manchmal sein kann, wurde Rafael van der Vaart am Dienstagabend bereits vor dem Spiel gegen Schalke 04 klar. Als der verletzte Mittelfeldstar den voll besetzten Fahrstuhl im Stadion betrat, hätte er wohl nicht gedacht, dass die Fahrt bis zu seiner Familienloge eine halbe Ewigkeit dauern würde. Knapp drei Minuten brauchte der Niederländer, um es vom Erdgeschoss bis in den dritten Stock zu schaffen. "Das beste Spiel der Saison" habe er dort gesehen, sagte er 90 Minuten später, als er zurück auf dem Boden der Tatsachen war - diesmal mithilfe der Treppe.

Am Morgen nach dem überraschenden 3:1-Sieg gegen Schalke 04 wurde natürlich über andere Geschichten als über van der Vaarts Fahrstuhlfahrt gesprochen. "Die können's also auch ohne den Rafa", sagte einer der Trainingskiebitze, der seine Helden vom Vorabend lediglich bei der Ankunft nach einem 30-minütigen Waldlauf im Volkspark zu Gesicht bekam. Tatsächlich hatte der Anhänger den sinnbildlichen Nagel auf dem Kopf getroffen. Doch auch der redegewandte Fan hätte wohl kaum gedacht, dass mit Artjoms Rudnevs, Maximilian Beister und Per Skjelbred ausgerechnet drei Ersatz-Van-der-Vaarts, die noch vor Kurzem als HSV-Sorgenkinder bezeichnet wurden, für den überraschenden Sieg sorgen würden. "Ohne Rafael hat jeder ein paar Prozent draufgelegt", sagte Trainer Thorsten Fink, der dem zuletzt selten gelobten Trio umgehend eine Einsatzgarantie für das Auswärtsspiel am Sonntag in Wolfsburg gewährte. "Da müssen wir nicht viel ändern."

Besonders gefragt war am Tag nach dem Sieg mit Skjelbred einer, der zuletzt fast schon in Vergessenheit geraten war. Der Name des Norwegers steht bereits seit Monaten auf einer internen Streichliste von Spielern, die der HSV lieber heute als morgen abgeben würde. "Per ist ein fantastischer Teamspieler, der nie aufgibt", lobte Sportchef Frank Arnesen, der aber weiterhin einen Käufer sucht: "Wir werden schauen, was für alle das Beste ist." Skjelbred selbst verschwendete am Tag nach seinem gelungenen Comeback nur wenige konkrete Gedanken an die mittelfristige Zukunft: "Natürlich will ich spielen. Fußball ist in meiner Welt die Nummer eins. Also werden wir bald mal schauen, wie es weitergeht."

In der kurzfristigen Zukunft darf sich der 25-Jährige, der sich trotz des tollen Vorabends gestern um 6 Uhr morgens um sein neun Monate altes Töchterchen Eline kümmern musste, in den verbleibenden drei Spielen bis zur Winterpause zunächst mal über weitere Spielpraxis freuen. "Per ist ein richtig guter Fußballer, der für unser neues 4-4-2-System für die Rolle im halblinken Mittelfeld prädestiniert ist", lobte Fink, "ich werde ihn in den nächsten Wochen gut gebrauchen können."

Gleiches gilt auch für Beister, der nach seinem ersten Bundesligator wie beflügelt wirkte. "Nach so einem Tor laufen die Beine ganz von alleine", sagte der U21-Nationalspieler, der noch eine knappe Stunde nach Spielende als letzter Hamburger Interviews in den Katakomben der Arena gab. "Ey Maxi, du hast doch nur ein Tor geschossen", rief der heruntergeeilte van der Vaart seinem Kollegen mit einem Augenzwinkern zu, "jetzt komm mal lieber in die Kabine." Dort durfte sich Beister genauso wie Skjelbred und auch Rudnevs über viele lobende Worte freuen: "Natürlich gibt es Selbstvertrauen, wenn man gemeinsam wichtige Schlüsselspieler ersetzen kann", sagte der Ex-Düsseldorfer, der mit Rudnevs im neuen Zwei-Mann-Sturm auch in Wolfsburg auf Torejagd gehen soll.

Der Lette, der bereits vier Saisontore erzielte, war der Einzige aus dem Trio der einstigen Sorgenkinder, der wenig Lust auf Erklärungen verspürte. Zu sehr dürfte beim 3,5-Millionen-Euro-Neuzugang die Kritik der vergangenen Wochen hängengeblieben sein. Intern wurden trotz leerer Kassen bereits Modelle besprochen, wie man in der Winterpause einen kostengünstigen Stürmer akquirieren könnte. Nach Informationen des Abendblatts strebt Sportchef Arnesen ein Leihgeschäft mit einem anderen Bundesligaklub an, sollte Rudnevs seinen Aufwärtstrend in den nächsten Spielen nicht bestätigen.

Eine neue Zielsetzung will Trainer Fink nur wegen des Überraschungssiegs ohnehin nicht ausgeben. "Wenn Sie richtig aufgepasst haben, dann kennen Sie unsere Ziele", blaffte Fink einen Journalisten an, der genau nach diesen fragte, "in dieser Saison werden wir da nichts ändern." Der Weg nach ganz oben, das weiß nicht nur Fink, ist eben doch mühsamer, als man denkt.