HSV-Torwart René Adler spricht über seine Leidenszeit und seine Hoffnungen beim DFB. Diese sind allerdings vorerst eingeschränkt.

Amsterdam. Als René Adler um 14.33 Uhr den Konferenzraum "Salon A" des Marriott-Hotels in der Amsterdamer Innenstadt betrat, wirkte der HSV-Torwart wie vor dem Anpfiff eines bedeutenden Spiels. Konzentriert, aber auch etwas angespannt. Man merkte deutlich, dass der 27-Jährige sich des besonderen Moments bewusst war. Seine Rückkehr zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft fast genau zwei Jahre nach seinem letzten Länderspiel (0:0 gegen Schweden am 17. November) markierte einen Endpunkt. An diesem Montag war seine lange Zeit des Leidens offiziell beendet.

Nationalkicker, die auf dem Podium des Deutschen Fußball-Bundes Platz nehmen, flüchten sich häufig in allgemeine, floskelhafte Formulierungen. Bloß nicht zu viel preisgeben, bloß keine Schlagzeilen liefern, so lautet das Motto. Wer Adler in den vergangenen Wochen in Hamburg erlebte, für den war es keine Überraschung, dass der Torhüter gestern einen ganz anderen Auftritt hinlegte und einen offenen und reflektierten Einblick in seine Seelen- und Gedankenwelt gab. Adler nahm die Zuhörer mit auf eine bemerkenswerte Reise in seine Vergangenheit.

"Vor einem halben Jahr war mein Karriereende relativ nah und ich habe mir überlegt, was ich eventuell studieren könnte", erzählte Adler. "Es war noch ein Traum, wieder in der Bundesliga zu spielen. Aber die Nationalmannschaft war weit weg. Es wäre größenwahnsinnig gewesen, aus dem Arztzimmer heraus von einer Rückkehr zum DFB zu träumen. Insofern bin ich selbst sehr überrascht, heute hier zu sein."

Nach seinem Rippenbruch und der schweren Patellasehnenverletzung dauerte es sehr lange, bis er wieder das nötige Vertrauen in seinen Körper hatte. "Das ging nicht von heute auf morgen. Ich war das eine oder andere Mal während der Reha verzweifelt und habe nach einigen Rückschlägen nicht mehr daran geglaubt, dass es noch was wird."

Doch mithilfe seines "Inner Circle", des engsten Familien- und Freundeskreises, gelang es Adler, die Furcht vor dem Ende seiner Karriere beiseite zu schieben. "Ich habe einfach weitergemacht, mein Programm durchgezogen, bis ich wieder daran geglaubt habe, dass es weitergeht. Diese Zielstrebigkeit zu bewahren war sehr wichtig in dieser Phase."

Vor seiner langen Auszeit war Adler eher ein zurückhaltend agierender Fußballprofi, jetzt traut er sich, seine Meinungen und Botschaften offensiv zu vertreten. Angesprochen auf Robert Enke und die Krankheit Depression erinnert er daran, dass man häufig Sportler nur als Maschinen sehe, nicht aber das Konstrukt Fußball hinterfrage, auch wenn man sich beim Thema Depression auf einem guten Weg befinde.

Gefragt nach seiner mentalen Stärke, hebt Adler hervor, dass er während seiner Verletzungszeit lernen musste, dass sich beim Spitzensport "im Kopf die Spreu vom Weizen trennt". Die nötige Balance von Angespanntheit und Gelassenheit zu finden, sei der Schlüssel, um Großes leisten zu können. "Das gelang mir früher nicht immer." Früher war sein Leben fokussiert auf eine einzige Säule: den Fußball. Die Distanz, die ab und zu nötig sei, fehlte.

Es wirkt, als gestalte Adler sein Leben heute bewusster. Ein Eindruck, den Ronny Teuber, sein Torwarttrainer beim HSV, bestätigt, als er die Arbeit mit Adler beschreibt. "René trainiert nicht mit 1000 Wiederholungen, ihm ist es wichtiger, die Übungen in sehr hoher Qualität zu gestalten." Die Abläufe mit einem hohen Anspruch zu versehen, seine Detailversessenheit und Konzentration in allem, was er tue, zeichne ihn aus, glaubt Teuber, der zwei Phasen ausgemacht hat: "In der ersten Phase, während der Vorbereitung und im Pokal, musste er sich erst wieder an den Rhythmus des Trainings und der Spiele gewöhnen, Zutrauen in seinen Körper gewinnen." Mit seinen ersten gelungenen Auftritten in der Liga begann Adlers zweite Phase, in der die Stärke ausstrahlte, die Bundestrainer Joachim Löw schnell wieder auf ihn aufmerksam werden ließ. Bis heute hat er keine Trainingsminute versäumt.

So gerät das Spiel gegen die Niederlande zur Belohnung dafür, nie aufgesteckt zu haben. "Wir hatten stets Kontakt", sagt Manager Oliver Bierhoff. "Mich hat die Ruhe und Ernsthaftigkeit beeindruckt, mit der er an sich gearbeitet hat. Es freut mich, dass er nun die Bestätigung für seine Leistung bekommt, René dient anderen als Vorbild."

Natürlich weiß Adler nur zu genau, dass der Status von Bayern Münchens Manuel Neuer als Nummer eins so gut wie zementiert ist. Fast wie der Bundestrainer hörte er sich an, als er seine Situation kühl kommentierte: "Was wir am wenigsten brauchen, ist, auf der Torwart-Position eine Baustelle zu eröffnen, das haben wir nicht nötig. Jeder würde mich doch auslachen, wenn ich mich jetzt hier hinstelle und den Kampf ums Tor eröffne."

Der Adler liegt aber in Lauerstellung. "Bei aller Freude, wieder dabei zu sein, ist klar, dass ich gerne spielen möchte." Für jede Minute, für jede Sekunde Einsatzzeit gegen die Niederlande wäre er dankbar, allerdings: "Ich könnte es nachvollziehen, wenn Joachim Löw auf altbewährte Kräfte vertraut." Den Wettstreit mit Neuer sieht er positiv, gerade für die Entwicklung. "Auch früher haben Manu und ich uns im Training gepuscht."

Von Bierhoff gab es gestern keine klare Ansage, wie es um die Hierarchie hinter Neuer bestellt sei. "Wir wollen auf allen Positionen einen Konkurrenzkampf, weil so die Etablierten konzentriert bleiben und angestachelt werden." Sein früherer Förderer bei Bayer Leverkusen, Torwarttrainer Rüdiger Vollborn, erklärte sogar bei "eurosport.yahoo.de": "Für mich ist René vielleicht der kompletteste Keeper."

Wer Adler gestern lauschte, war sich danach sicher: Der HSV-Keeper wird geduldig auf seine Chance warten. Und falls Neuer einmal verletzt oder gesperrt fehlt, wird Adler gut vorbereitet sein, um Löw die Wahl so schwer wie möglich zu machen.