HSV-Torwart Frank Rost attackiert die Klubführung mit drastischen Worten und rechnet mit seinem Aus in Hamburg. Er muss zum Rapport.

Hamburg. Das Auslaufen nach dem 0:6-Desaster in München war früh beendet. So konnte Frank Rost am Sonntagmittag zu den 160 Zuschauern gehören, die sich im Edmund-Plambeck-Stadion die Regionalligapartie zwischen den Nachwuchsteams des HSV und des VfL Wolfsburg anschauten. Dass die Hamburger wenig taten, um Rosts Laune zu verbessern, und 0:1 verloren, war nur eine Randnotiz, aber eigentlich logisch angesichts des Negativlaufs des Klubs in den vergangenen Wochen.

+++ Die Bundesliga-Tabelle +++

Bevor er sich nach Norderstedt aufmachen konnte, gab sich der 37-Jährige jedoch betont ruhig und locker, ja fast entspannt, als ob er froh sei, sich von einer Last befreit zu haben. Schon einige Zeit hatte der Keeper die Vorgänge im HSV kritisch verfolgt, aber mit der Faust in der Tasche geschwiegen. Nach dem 0:6 aber war Schluss mit seinem Schweigegelübde. In wohl noch nie da gewesener Form wetterte ein bei einem Bundesligaklub angestellter Spieler vor den Fernsehkameras von Sky und Liga total! über seine Vorgesetzten ab und kritisierte deren Führung, besonders Klubchef Bernd Hoffmann, der vor dem Münchenspiel im Skiurlaub weilte: "Ich muss die Dinge aktiv regeln - und nicht aussitzen! Stellen Sie sich mal vor, jeder Spieler, bei dem der Vertrag ausläuft, macht jetzt Urlaub!"

Mit deutlichen Worten machte Rost bei Sky klar, wo er das Kernproblem für die Misserfolge sieht. "Sie müssen es immer wieder vorleben, dann wird auch der Trainer stark, dann wird auch der ganze Verein stark. Wenn sie meinen, sie müssen die Spieler auswechseln, dann müssen sie es tun, dann müssen sie es mit aller Konsequenz tun. Nehmen Sie meine Situation: Wenn man den Drobny holt, dann muss man ihn spielen lassen und keine Spielchen in der Öffentlichkeit machen. Das geht so das ganze Jahr. Man kann gar nicht mehr vernünftig arbeiten. Das ist Wahnsinn!" Der Hintergrund zu seinen Worten über Drobny: Nachdem sich Rost mehrfach kritisch zu HSV-Dingen geäußert hatte, zum Beispiel zur möglichen Verpflichtung von Piotr Trochowskis Berater Roman Grill als Sportchef, empfand Rost den Transfer Drobnys als klare Drohung vom Vorstand: Entweder du hältst die Klappe, oder du sitzt draußen.

"Da muss ich auch diejenigen unterstützen, die mitziehen, man kann sie nicht enteiern!", redete sich Rost während des denkwürdigen Interviews bei Liga total! in Rage. "Wenn ich niemanden mehr habe, der irgendwas sagt, wenn ich denke: Wenn einer etwas Kritisches sagt, ist das gleich ein Feind - dann funktioniert das nicht im Fußball."

Den am Sonntag freigestellten Trainer Armin Veh nahm Rost dagegen demonstrativ in Schutz: "Es ist schade, dass er gehen muss. Ich habe ihn sehr geschätzt, er war offen und ehrlich und jemand, der auch mal aneckt. Aber offensichtlich ist das nicht mehr so erwünscht." Die nächste Spitze.

Logisch, dass die Worte Rosts auf wenig Gegenliebe stießen. Während sich Hoffmann am Sonntag eine Replik verkniff ("Wir haben das zur Kenntnis genommen"), übernahm Sportchef Bastian Reinhardt die Gegenrede: "Bei allem Verständnis für Frank Rost kann es nicht sein, dass er immer dazu beiträgt, diesen Verein zu beschädigen und Öl ins Feuer zu gießen. Von einem Führungsspieler hätte ich ein anderes Verhalten erwartet."

Reinhardt kündigte an, dass der Vorstand den Torwart in dieser Woche zum Gespräch bitten wird. Welche Strafe Rost - außer einer Geldstrafe wegen vereinsschädigenden Verhaltens - erwartet, ist offen. Ein sofortiger Rauswurf wurde bereits erörtert, doch Rost dürfte davon profitieren, dass Ersatztorwart Jaroslav Drobny derzeit wegen einer Handverletzung ausfällt. Außerdem steckt Hoffmann in einem Dilemma. Er muss sich genau überlegen, ob er den Publikumsliebling - als einziger Spieler wurde in München Rost nach dem Abpfiff frenetisch gefeiert - abserviert und ihn so eventuell zum Märtyrer für die Massen werden lässt. Auf der anderen Seite darf sich Hoffmann, dessen Position nach der Abstimmungsniederlage im Aufsichtsrat sowieso schon geschwächt ist, nicht noch einen weiteren Autoritätsverlust erlauben.

Rost reagierte am Sonntag gelassen auf Fragen, ob er gut drei Monate vor dem Ende seiner Vertragslaufzeit seine Abschiedsrede gehalten haben könnte: "Das kann durchaus sein, aber es ist ja jetzt wurscht. Wichtig ist, dass wir jetzt den Rest der Saison punkten." Wie wenig er offensichtlich davon ausgeht, einen weiteren Kontrakt angeboten zu bekommen, zeigt eine weitere Aussage: "Der HSV muss am Ende der Saison den Resetknopf drücken. Und dann kann man denen in der kommenden Saison nur viel Glück wünschen."

Die Abschiedsrede von Frank Rost

Protokoll der schonungslosen Abrechnung mit dem Verein und seinem Vorsitzenden in einem Liga-total!-Interview

Über die Gesamtsituation: "Das kenne ich beim HSV seit vier Jahren, dass man Schuldige sucht. Aber darum geht's nicht - es geht um Lösungen. Schuldige zu suchen ist zwar toll, da freuen wir uns alle. Das ist wie in der Politik: Suchen wir mal einen Schuldigen, und dann haben wir das Problem gelöst. Nein, wir haben es nicht gelöst! Sie müssen die Dinge vorleben. Sie müssen keine Wertediskussion führen, Sie müssen es vorleben, und dann können Sie das auch von ihren Leuten verlangen. Nur so wird ein Schuh draus - und genauso ist es bei uns in der Mannschaft. In den zurückliegenden anderthalb Jahren sind viele Dinge entstanden, Baustellen, das ist Wahnsinn! Das sind viele kleine Baustellen, die sich summieren zu einer riesengroßen."

Welche Baustellen? "Vieles liegt im Argen, weil die Dinge ausgesessen und nicht geregelt werden. Leute werden enteiert - nehmen Sie doch mein Beispiel: Man hat einen Torhüter geholt. Den hat man geholt, damit der Rost mal die Klappe hält. Aber wenn man konsequent ist, dann lässt man ihn auch spielen. Aber wie könnte das in der Öffentlichkeit aussehen? Und von dieser Art der Baustellen haben wir Hunderte aufgemacht! Auch im Verein: Wenn Sie immer nur reingehen und gucken: Wer sitzt denn da, und hoffentlich sage ich nichts Falsches - da wird eine Misstrauenskultur geschaffen. Das ist schwierig, und Sie sehen das auf dem Spielfeld wieder: Da passiert ein Ding, und dann bricht alles auseinander. Wenn da eine gewisse Stabilität da ist, dann passiert das nicht. Dann kriegt man auch mal eins auf den Deckel, aber nicht in der Häufigkeit, wie wir das in dieser Saison erlebt haben. So wie heute, da bricht das eben gnadenlos auseinander."

Über enteierte Profis: "Es geht nicht um Fehler - man muss eine Linie haben: Wie möchte ich meinen Verein sehen, wie möchte ich Fußball spielen - und die muss ich durchziehen. Da muss ich auch diejenigen unterstützen, die mitziehen - und kann sie nicht enteiern! Wenn ich niemanden mehr habe, der irgendwas sagt, wenn ich denke: Wenn einer etwas Kritisches sagt, ist das gleich ein Feind - dann funktioniert das nicht im Fußball. Denn das ist ein Geschäft, da ist Druck, da müssen Sie unter schwierigen Bedingungen Erfolg haben. Das müssen Sie vorleben: die Begeisterung auf dem Spielfeld. Warum sind Klopp oder Tuchel erfolgreich? Ja, die strahlen das aus, die Begeisterung. Auch vom Verein: Watzke, der stellt sich hinter seine Leute, das ist so eine Einheit! Und das ist aus der Not heraus entstanden. Und es ist halt schade, wenn man das Gefühl hat, man muss erst Dinge gegen die Wand fahren, bevor man sich an das Wesentliche erinnert."

Ob Rost das Gefühl habe, dass sich Bernd Hoffmann beim HSV nicht hinter die Mannschaft stelle? "Ich habe noch nichts gehört. Er hat 160 Millionen Euro Jahresumsatz gemacht, das war sein Erfolg. Die Mannschaft hat nur 50 Spiele gemacht. Aber scheißegal! Das ist total uninteressant, ob sie mich wegfackeln, ist mir wurscht. Wir müssen gucken, dass wir 40 Punkte kriegen - das ist das Entscheidende. Was glauben die hier: dass wir irgendwo hinfahren und irgendwelche Leute abschießen? Wir haben heute nicht mal einen Blumentopf getroffen. Aber ich muss die Dinge aktiv regeln und nicht aussitzen. Stellen Sie sich vor, jeder Spieler, bei dem der Vertrag ausläuft, macht jetzt Urlaub!"

Nachfrage, er meint Bernd Hoffmannn? "Was interessiert mich Bernd Hoffmann? Wir müssen ein Verein sein, der eine Einheit ist. Nur dann haben wir eine Chance. Was wir jetzt sehen, ist ein wankender Riese - und wenn wir noch eine auf die 'Gusche' kriegen, dann fällt er um, der Riese."

Was jetzt passieren muss? "Dass alle fest zusammenstehen und dass man die Probleme, die man hat, aktiv regelt. Das geht von ganz oben los, die Spieler können es ja schwer regeln."

Welchen Einfluss der Trainer hat? "Ich bin vier Jahre hier - fünf Trainer. Und, was ist besser geworden? Die Probleme sind die gleichen. Die Medien fordern doch laufend: Wir müssen einen neuen Trainer holen, wir brauchen neue Spieler. Glauben Sie, wir gehen mit so einem breiten Kreuz ins Spiel, wenn wir wissen: Nächstes Jahr werden eh alle ausgetauscht? Solange ich meine Leute habe, verteidige ich sie bis aufs Messer: meine Spieler, meine Mannschaft, die das Wertvollste ist, was dieser Verein hat. Denn ohne Bundesliga können alle anderen den Deckel zumachen."