Nur wenigen Vereinen wird ein derart großes Potenzial und ein derart kleiner Ertrag wie dem Hamburger SV und dem 1. FC Köln nachgesagt.

Hamburg. Beinahe ein bisschen beleidigt reagierte Thorsten Fink gestern Mittag auf die Frage, ob man den 1. FC Köln und den HSV unabhängig von der Tabellenkonstellation vor dem direkten Duell am Sonntag (17.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) in mancher Hinsicht miteinander vergleichen könnte. Die Leidenschaft, die Emotionalität, die oft enttäuschten Erwartungen? "Wir hatten und haben mit Ausnahme dieser Saison immer den Anspruch, europäisch zu spielen. Köln hatte und hat diesen Anspruch nicht", antwortete Fink, "die beiden Klubs sind grundverschieden."

Laut Dietmar Beiersdorfer haben Köln und Hamburg einen Standortvorteil

Obwohl Fink natürlich völlig recht hat, liegt er gleichzeitig völlig daneben. Tatsächlich gibt es nur wenige Klubs in der Bundesliga, denen immer wieder ein überproportional großes Potenzial und ein mindestens genauso großes Versagen wie dem FC und dem HSV nachgesagt wird. So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass Rune Bratseth seinem Landsmann Stale Solbakken kurz vor seiner Entscheidung für den 1. FC Köln zurief, er solle als Trainer den "schlafenden Riesen wecken". Es waren exakt die gleichen Worte, die HSV-Sportchef Frank Arnesen vor einem Jahr bei seinem Einstandsbesuch im Aufsichtsrat benutzte, um die in den vergangenen Jahren ungenutzten Möglichkeiten des Vereins hervorzuheben.

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"Sowohl der FC als auch der HSV dürfen eine in der Bundesliga nahezu einmalige Verankerung in der Metropolregion für sich reklamieren", sagt Dietmar Beiersdorfer, der in unterschiedlichen Funktionen für den HSV und den 1. FC Köln aktiv war. "Beide Vereine haben einen Standortvorteil, der durch die hochemotionale Bindung des Umfelds aber auch nicht immer einfach zu nutzen ist", sagt Arnesens Vorgänger, der vor einem Jahr ein Angebot als FC-Sportchef ablehnte. Sein Fazit: Köln und Hamburg seien sich in bestimmten Dingen ähnlicher, als das der eine oder andere wahrhaben wolle.

Wer ein Gefühl für die kölsche Fußballseele bekommen möchte, der sollte am Sonntag rechtzeitig vor dem Anpfiff seinen Platz in der KölnArena einnehmen. Wie immer bei Heimspielen wird auch dann wieder Henning Krautmacher, Frontmann der Karnevalsband Höhner, die FC-Hymne "Mer stonn zo dir, FC Kölle" intonieren. Das Gänsehautgefühl ist wahrscheinlich ligaweit nur bei Lotto King Karls HSV-Hymne "Hamburg, meine Fußballperle" vergleichbar. "Mer schwöre dir he op Treu un op Iehr. Mer stonn zo dir, FC Kölle. Un mer jon met dir wenn et sin muss durch et Füer. Halde immer nur zo dir, FC Kölle!", singen die 50 000 Kölner, für die eines feststeht: Die großen Zeiten des FC kommen erst noch. Eine Sehnsucht, die auch HSV-Fans seit einem Vierteljahrhundert hegen.

So sehr man aber die beiden Vereine miteinander vergleichen kann - Köln hat eine Stadionauslastung von 93,2 Prozent, der HSV von 92 Prozent; der HSV verkaufte 31 000 Dauerkarten, der 1. FC Köln 27 380 Saisontickets -, so sehr muss man auch die Unterschiede benennen. Anders als der HSV, der trotz der momentanen sportlichen Ergebniskrise noch immer als Global Player in Europa wahrgenommen werden dürfte, haben die Kölner Macher diesen Schritt nie erreicht. "Der HSV nutzte den Transfer Rafael van der Vaarts vor Jahren erfolgreich als Türöffner", sagt Beiersdorfer, "einen ähnlichen Plan hatten auch Kölns Verantwortliche mit der Verpflichtung von Lukas Podolski." Erfüllt hat sich diese Hoffnung aber nicht.

Platz sieben könnte für den HSV oder für Köln für die Europa League reichen

HSV-Trainer Fink widerspricht nicht, lehnt den Vergleich der "schlafenden Riesen" aber vor dem direkten Duell weiter ab: "Wir dürfen nicht nur Träume haben. Irgendwann muss man auch mal erwachen." Zumindest ein bisschen träumen wollte sich Fink dann aber doch gestatten. Auf die wiederholte Frage, ob die ungewöhnliche Konstellation im Pokal-Halbfinale eine Qualifikation für die Europa League ab Platz sieben wahrscheinlich macht, antwortete er: "Wenn wir Platz sieben haben können, dann nehmen wir ihn uns." Es mag überflüssig zu erwähnen sein, dass ähnliche Aussagen am Donnerstag auch aus Köln überliefert wurden.