Mannschaft, Trainer und Vorstand schwören sich auf drei wichtige Wochen ein. Bruno Labbadia muss vorerst auf den Burgfrieden vertrauen.

Hamburg. Dass er keine Lust hatte, Rede und Antwort zu stehen, lag nicht allein an seiner Freundin Denisa, die im Auto vor der Tür ungeduldig auf ihn wartete. Vielmehr vermittelte David Jarolim genau den zerrissenen Eindruck, den alle Spieler in diesen Tagen auf und neben dem Platz hinterlassen. "Wir reden immer dasselbe", sagte der Tscheche, "vor jedem Europa-League-Spiel gab es ein Bundesliga-Spiel - und fast immer waren wir da schlecht. Diesmal war es Mainz. Wir haben nie Ruhe ..." So geht das nun schon sechs Wochen lang. Aber: "Wir schaffen vor so einem wichtigen Spiel eben kein 7:0 wie Bayern vor Lyon."

Jarolim gehörte zu jenen Spielern, die ein Vertrauensverhältnis zu Trainer Bruno Labbadia auszeichnete und auf die sich der Coach jederzeit verlassen konnte. Seit dem Wochenende und der erneuten Auswechslung bei der Pleite gegen Mainz ist dieses Verhältnis mehr als angeschlagen.

Kann sich Labbadia im Europa-League-Halbfinale am morgigen Donnerstag gegen Fulham (21.05 Uhr, Nordbank Arena) noch auf seine Führungsspieler verlassen? Neben Jarolim, der sich ohne Not vom Trainer in seiner Position als geschwächt sieht, muss Labbadia auf den aus dem Mannschaftsrat zurückgetretenen Frank Rost, den abwanderungswilligen Zé Roberto oder den bereits an Manchester City verlorenen Jerome Boateng setzen.

Die Streitigkeiten der vergangenen Wochen haben beim HSV offenbar keinen verbesserten Zusammenhalt, dafür aber klare Fronten geschaffen. Der Trainer, dem die Mannschaft in der Bundesliga die Gefolgschaft immer regelmäßiger versagt, glaubt zumindest international an die Motivation seiner Spieler. Auch bei denen, die er gerade verprellt hat. Die Haltung der Vereinsführung ist eindeutig. "Wir müssen unseren Fokus auf die nächsten drei Wochen legen und alle anderen Themen bis dahin komplett ausblenden", setzt Vorstandsfrau Katja Kraus auf einen Burgfrieden - den die Mannschaft anzunehmen scheint. Der in Krisensituationen erfahrene Ruud van Nistelrooy sagt: "Bei fehlendem Erfolg ist die Stimmung angespannt, das ist normal.

Aber das zählt vor so einem wichtigen Spiel alles nicht. Das ist jetzt nicht wichtig." Auch für David Jarolim überstrahlt der Gedanke an das Finale am 12. Mai in Hamburg die Schmach einer Auswechslung. "Da gibt es keine zwei Meinungen", fasst der Kapitän zusammen, "das Ziel allein ist Motivation genug. Für einige ist es vielleicht die letzte Möglichkeit, sich noch mal einen großen internationalen Titel zu sichern." Auch für ihn. Der 30-Jährige, einer der Älteren beim HSV, will die letzte Chance auf den Pokalgewinn nicht verstreichen lassen. "Andere haben diese Möglichkeit nur einmal im Leben, wir nun schon zum zweiten Mal in Folge." Deshalb sei die Bedeutung dieser Chance allen bewusst.

Das beste Beispiel für den neuen "Burgfrieden für den Pokalgewinn" ist wohl Piotr Trochowski, der wochenlang für den jungen Tunay Torun die Bank drücken musste. Trotz des irreparabel beschädigten Verhältnisses darf der Trainer seinem Gescholtenen vertrauen - der Titelhunger ist stärker als individuelle Empfindlichkeiten. Nach dem großen Ziel dürfte der brüchige Zusammenhalt endgültig auseinanderfallen. Eine weitere professionelle Zusammenarbeit scheint nahezu ausgeschlossen.

Dem HSV steht ein umfangreicher Umbruch bevor. Ob am Ende der Trainer gehen muss oder weitere Spieler, hängt von der "ganzheitlichen Analyse" ab, die Aufsichtsratschef Horst Becker für das Saisonende angekündigt hat. Klar ist, der HSV wird in der neuen Spielzeit nicht wiederzuerkennen sein. Mit oder ohne Pokalgewinn.