Der HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann fordert mehr Rücksicht auf die Vereine und nimmt die Nachwuchs-Abteilung in die Pflicht.

Abendblatt: Herr Hoffmann, haben Sie Jerome Boateng nach dessen Gelb-Roter Karte getröstet?

Bernd Hoffmann: Nicht getröstet, sondern per SMS mit aufmunternden Worten gratuliert. Denn bis zu seinem Platzverweis hat er sehr ordentlich gespielt. Er hat gezeigt, dass er zu einer festen Größe werden kann. Um seine mentale Verfassung mache ich mir keine Sorge. Jerome ist absolut geerdet und selbstbewusst.



Abendblatt: Ausgerechnet beim Länderspiel gegen Finnland in seinem Stadion wird er aber durch seine Sperre fehlen ...


Hoffmann: Ganz ehrlich, darüber bin ich nicht wirklich böse. So hat er eine Woche Pause vor unserem Spitzenspiel am Sonnabend gegen Leverkusen.


Abendblatt: Ihre holländischen Nationalspieler Elia und Mathijsen durften für ein Freundschaftsspiel nach Australien fliegen.


Hoffmann: Das ist so nicht mehr hinnehmbar für die Vereine. Qualifikationsspiele für unsere Profis, etwa in Südamerika, akzeptieren wir ja. Aber die Sinnhaftigkeit eines Testspiels, für das die Spieler um den halben Erdball fliegen müssen, kann mir keiner erklären. Da werden auf die Bedürfnisse der Klubs keine Rücksicht genommen und die Gesundheit der Spieler gefährdet.


Abendblatt: Erwarten Sie mehr Unterstützung von Fifa und Uefa?


Hoffmann: Ab nächsten Herbst wird der Spielkalender ja verändert. Dann finden die Wochen-Länderspiele Dienstag statt Mittwoch statt, die Spieler sind also einen Tag früher wieder bei den Klubs. Das ist ein erster Schritt. Aber ich habe kein Verständnis dafür, dass der Afrika-Cup im Januar oder eine U-20-WM jetzt im Oktober stattfinden muss. Da sind die Verbände gefordert.


Abendblatt: Ihr Bedarf an Verletzungen ist ohnehin gedeckt.


Hoffmann: Drei Kreuzbandrisse in einer Saison (Silva, Benjamin, Guerrero, die Red.) zudem jetzt die Verletzung von Mladen Petric, das ist unglaubliches Pech.


Abendblatt: Warum holen Sie keinen Ersatz? Vereinslose Spieler dürften Sie jederzeit verpflichten.


Hoffmann: Glauben Sie wirklich, dass uns jemand ohne Spiel- und Wettkampfpraxis wirklich helfen würde? Nein, das wäre auch das falsche Signal an unseren gesamten Kader.


Abendblatt: Also kommt auch im Winter keine namhafte Verstärkung.


Hoffmann: Wir haben unsere Situation und den Markt sehr genau im Auge. Aber aktuell stehen wir Wintertransfers verhalten gegenüber.


Abendblatt: Mit fehlendem Geld hat das also nichts zu tun?


Hoffmann: Nein. Aber wir können nicht mit Notkäufen die gesamte Arbeit unserer Scouts und unserer Nachwuchs-Abteilung ad absurdum führen.


Abendblatt: Die Nachwuchs-Abteilung haben Sie heftig kritisiert.


Hoffmann: Ich stelle nur Fakten fest. Unsere Spieler aus dem eigenen Nachwuchs hatten in der vergangenen Saison eine Gesamt-Einsatzzeit von 16 Minuten. Beim FC Bayern waren in der Champions League gegen Juventus Turin fünf Spieler aus der eigenen Jugend in der Startformation. In diese Richtung wollen wir kommen, um hohe Ablösen und Einstiegsgehälter zu vermeiden.


Abendblatt: Derzeit verlangen zwei Spieler, Mladen Petric und Paolo Guerrero, deutlich bessere Verträge. Fürchten Sie, dass der HSV beide Top-Stürmer verliert?


Hoffmann: Mladen hat einen Vertrag bis 2012. Paolos Vertrag läuft aus. Wir sind mit ihm und seinem Berater im Gespräch und hoffen, dass wir uns einigen werden. Aber wir werden keine unvertretbaren wirtschaftlichen Risiken eingehen.


Abendblatt: Das stimmt nicht zuversichtlich.


Hoffmann: Wir wollen Paulo halten, und das haben wir ihm in den Gesprächen auch sehr deutlich gemacht. Aber wir müssen weiterhin verantwortungsvoll mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen. Wir haben nun mal eine andere Planungssituation als der VfL Wolfsburg oder Hoffenheim, wo man auch losgelöst vom Erreichen sportlicher Ziele investieren kann.


Abendblatt: Sie haben gerade den Stadionausbau gestoppt. Also klemmt es doch beim HSV.


Hoffmann: Moment, den Umbau der Stehplätze und die Erweiterung der Kapazität auf über 60 000 werden wir wie geplant durchführen. Über die weiteren Investitionen im VIP-Bereich und in der Kids World entscheiden wir im nächsten Frühjahr. Wir dürfen doch bei einer Investition von 13 Millionen Euro nicht die gesamtwirtschaftliche Situation ignorieren. In der Bundesliga sind derzeit 30 Prozent der VIP-Plätze nicht vermarktet


Abendblatt: Der HSV ist doch im Moment im VIP-Bereich nahezu komplett ausgebucht.


Hoffmann: Das stimmt. Aber wir können nicht einschätzen, wie sich die wirtschaftliche Zukunft entwickelt. Und da befinde ich mich in guter Gesellschaft von Koalitions-Verhandlern und Wirtschafts-Weisen.


Abendblatt: Wie lange können Sie eigentlich unter diesen schwierigen Bedingungen noch die Doppelbelastung als Vorstandschef und Sportchef tragen?


Hoffmann: Wir verteilen das ja auf verschiedene Schultern. Ich bin ja in permanentem Austausch mit Bruno Labbadia, die Abstimmungswege sind kurz. Aber natürlich brauchen wir perspektivisch einen Sportchef.


Abendblatt: Was heißt perspektivisch?


Hoffmann: Nicht vor Winter, aber auch nicht allzu lange danach. Genaueres müssen Sie den zuständigen Aufsichtsrat fragen.


Abendblatt: Die Räte werden doch auch wohl Sie um Ihre Meinung fragen.


Hoffmann: Was ich für völlig normal halte. Es ist wichtig, dass der neue Sportchef vertrauensvoll mit den anderen Vorstandsmitgliedern zusammenarbeitet.


Abendblatt: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie sich nach der Trennung von Dietmar Beiersdorfer mit einem Ja-Sager umgeben wollen.


Hoffmann: Das wäre töricht, bei den Zielen, die wir als Verein haben. Deshalb habe ich für diese Diskussion überhaupt kein Verständnis. Das Ziel muss es sein, jede Position bestmöglich für den HSV zu besetzen. Wie wichtig ein funktionierendes Führungsteam ist, zeigt die Nationalmannschaft. Wer glaubt, dass man mit zwei widerstrebenden Vorstandsparts die Ziele ereicht, ist auf dem Holzweg. Oder auf dem Weg in die Mittelmäßigkeit.

Nutzen Sie unseren HSV SMS Dienst und seien Sie immer auf dem Laufenden bei News und Ergebnissen rund um die Rothosen.