Die 19-jährige HSV-Stürmerin Kim Kulig trifft heute mit der Nationalmannschaft im Spiel der Gruppe B auf das Team von Norwegen.

Hamburg. Sie erinnert sich noch genau. Letztes Jahr im Mai, ein Montagmorgen, es würde ein schöner Frühlingstag werden. Sie war niedergeschlagen, denn tags zuvor hatte Kim Kulig mit dem VfL Sindelfingen zum wiederholten Mal den Aufstieg in die Bundesliga verpasst. Und jetzt wartete statt des geliebten Fußballplatzes die Schulbank auf sie. Schon an diesem Morgen war ihr klar: Noch ein Jahr Zweite Liga wollte sie nicht spielen. Dann klingelte das Telefon, Silvia Neid, die Bundestrainerin. Sie solle sofort in den Zug steigen und nach Kassel kommen, wo sich die A-Nationalmannschaft auf das EM-Qualifikationsspiel gegen Wales vorbereitete. "Das war ein Schock", sagt Kim Kulig, "der Puls ging hoch, ich habe schnell meine Sachen gepackt, mein Vater fuhr mich zur Bahn, und schon war ich Nationalspielerin."

Es dauerte noch ein paar Monate, bis Kulig die ersten Minuten im Trikot der Nationalteam auf dem Platz stand. Aber heute, ziemlich genau ein Jahr, drei Monate und neun A-Länderspiele später, ist die 19-jährige HSV-Stürmerin beim EM-Auftakt der DFB-Elf gegen Norwegen (16 Uhr live bei ARD und Eurosport) dabei. Sie ist die Jüngste im deutschen Kader. "Eine große Ehre", sagt sie. Und ein steiler Aufstieg, der sie verändert hat.

Die gebürtige Schwäbin wechselte letzten Sommer nach Hamburg, endlich Bundesliga. Ihr Trainer Achim Feifel kennt Kim Kulig schon lange, er wusste, welche Ziele die ehrgeizige Torjägerin verfolgte. Bevor er 2005 zum HSV kam, war er Verbandstrainer in Baden-Württemberg und sichtete das junge Talent in allen Jugendauswahlen . "Sie hat in allen Belangen überdurchschnittliche sportliche Qualitäten", lobt Feifel. Sie könne aber noch forscher auftreten, müsse mehr Verantwortung übernehmen. Kulig ist indes sicher, dass der Fußball sie bereits verändert hat. Früher sei sie noch zurückhaltender gewesen.

Dass Fußballspielen sie verändert, macht sich bemerkbar, wenn ein Ball in ihrer Nähe ist. Plötzlich ist sie in ihrem Element, macht Witze und wirkt nicht mehr so konzentriert. Sie kann die Füße nicht vom Ball lassen, dribbelt kurz, hält ihn hoch, selbst wenn sie ihn in der Hand halten soll. "In meiner Wohnung liegen immer mehrere Bälle rum. Es kommt häufig vor, dass da gekickt wird", gibt sie zu. Sie sagt "kicken", jedes Mal, wenn sie übers Fußballspielen spricht. Wie die Jungs früher in der Schule, mit denen sie angefangen hat.

Silvia Neid hat erkannt, dass Kulig nicht nur torgefährlich ist, sondern auch gestalterische Fähigkeiten besitzt. Sie lässt die gelernte Stürmerin vor der Abwehr spielen. Die blond gelockte Jungnationalspielerin fühlt sich wohl mit der neuen Aufgabe: "Ich finde mittlerweile, dass die Sechs meine Position ist. Man hat viele Ballkontakte", sagt sie. "Allerdings muss ich im Defensivverhalten noch einiges lernen."

Da ist sie wieder, die Zurückhaltung. Kulig könnte auch sagen, dass sie offensiv stärker ist als andere; sie hat schon zwei Tore für die Nationalelf geschossen. Aber sie bleibt bescheiden. Denn auch ohne große Worte darf sie sich berechtigte Hoffnungen machen, dass sie gegen Norwegen "kicken" darf.