Sportrechtler fordert nach Krawallen beim Turnier in der Alsterdorfer Sporthalle Umdenken der Klubs beim Umgang mit gewaltbereiten Anhängern.

Hamburg. Die schweren Krawalle beim Hallenfußballturnier "Schweinske-Cup" zwischen Anhängern des FC St. Pauli und des VfB Lübeck in der Sporthalle Hamburg, die schließlich zum Abbruch führten, werden unverändert intensiv diskutiert. Morgen hat Innensenator Michael Neumann alle Beteiligten zu einem Krisengipfel eingeladen. Im Abendblatt spricht Christoph Schickhardt, renommiertester deutscher Sportrechtler, über die Konsequenzen der Ausschreitungen.

Hamburger Abendblatt: Herr Schickhardt, der FC St. Pauli kritisiert das Vorgehen der Polizei als unangemessen. Sven Brux, Sicherheitsbeauftragter des Zweitligaklubs, hat erklärt, dass jemandem, der Nazisprüche mache, eben klar sein müsse, dass ihm dies körperlich nicht guttue. Wie sehen Sie solche Äußerungen?

Christoph Schickhardt: Die genauen Umstände des Einzelfalls kann ich nicht beurteilen. Aber grundsätzlich sind solche Erklärungen ein Desaster. Es darf nicht darum gehen, wer die Ausschreitungen angezettelt hat. Bei Randale rufe ich entweder die Polizei, oder ich bleibe weg. Das Gewaltmonopol liegt allein beim Staat. Es gibt kein Recht, einfach mal zurückzuschlagen.

+++ Polizei erhebt schwere Vorwürfe +++

Gibt es ein grundsätzliches Gewaltproblem im deutschen Fußball?

Schickhardt: Die Gewalt hat wieder zugenommen, das stimmt. Aber da ist der Fußball leider nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Hemmschwelle zur Gewalt ist insgesamt deutlich gesunken, gerade unter Jugendlichen.

Was ist zu tun?

Schickhardt: Wir brauchen eine Null-Toleranz-Politik. Gewalt, ob in derU-Bahn oder im Stadion, muss hart und vor allem zügig bestraft werden. Auch Jugendlichen muss deutlich gemacht werden, dass wir Gewalt nicht dulden.

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Haben die Fußballvereine Fehler gemacht?

Schickhardt: Eindeutig. Diese Problemfans konnten nur salonfähig werden, weil sich die Vereine nicht entschlossen genug von ihnen distanziert haben. Der endgültige und notwendige Bruch mit gewaltbereiten Fans unterblieb mancherorts, um das Verhältnis mit den sogenannten Ultras nicht zu riskieren. Dies ist für mich unentschuldbarerPopulismus. Teilweise haben die Vereine sogar Platz im Aufsichtsrat für Fanvertreter geschaffen. Auch dies halte ich für einen gravierenden Fehler. Ich habe den Eindruck, dass solche Fangruppen mitunter auch ein Wahlpotenzial darstellen, insbesondere bei Vereinen mit mehren Zehntausend Mitgliedern.

Aber sind die Ultras nicht auch so etwas wie die Herzkammer des Fußballs, die ihren Verein mit aller Macht unterstützen?

Schickhardt: Ich will einzelne Fangruppen auf keinen Fall vorverurteilen. Aber die Vereine haben in der Vergangenheit zu viel für die Problemfans getan, viel Geld für alle möglichen Projekte ausgegeben. Die Klubs sollten sich wieder auf ihre wirklichen Stammkunden konzentrieren. Und das ist weder der Ultra noch der VIP. Sondern in erster Linie der Familienvater, der mit seinem Kind ins Stadion geht und sich darauf verlässt, dass nichts passiert. Es darf nicht sein, dass denen eines Tages die Frau sagt, ich will nicht mehr, dass ihr zum Fußball geht, weil es zu gefährlich ist.

Ist denn ein Stadionbesuch schon einRisiko wie etwa in Italien, wo es in der Vergangenheit zu schwersten Auseinandersetzungen kam?

Schickhardt: Nein. Im Gegensatz zu den oft veralteten Arenen in Italien sind die deutschen Stadien modern und sicher, schon weil sie eine strikte Trennung zwischen Heim- und Gästefans erlauben. Zudem hat Italien deutlich größere Schwierigkeiten mit Rechtsradikalen. Ein Problem bei uns sind aber oft die Fahrten zu Auswärtsspielen, wo sich Gruppen gewaltbereiter Fans ausleben wollen. Es war ein Fehler, dass Vereine regelrechte Wellness-Oasen für ihre Fans geschaffen haben, die zu Auswärtsspielen reisen.

Was meinen Sie damit?

Schickhardt: Diesen Fans werden Karten besorgt. Die Anreise wird organisiert, entsprechende Räumlichkeiten für Fahnen und weitere Ausrüstung zur Verfügung gestellt. Das ist alles in Ordnung, wenn die Fans friedlich bleiben. Aber wenn es Probleme gibt, muss der Verein reagieren und diese Annehmlichkeiten abschaffen.

Ohne die Ultras wäre deutlich weniger Stimmung in den Stadien.

Schickhardt: Dann ist das eben so, auch wenn ich es bedauern würde. Wenn sich Ultras friedlich verhalten, habe ich doch überhaupt nichts gegen ihre stimmungsvolle Unterstützung, ganz im Gegenteil. Aber wir dürfen doch deshalb nicht gewaltbereite Fans tolerieren. Oder würden Sie es gut finden, wenn jemand bei Ihrer Party für Stimmung sorgt und anschließend alles kaputt schlägt?

Wie sehen Sie das Bestreben vieler Fan-gruppen, kontrollierte Pyrotechnik, also das Abbrennen von Bengalos unter Aufsicht, zu erlauben?

Schickhardt: Diese Gruppen sind ganz anders zu sehen als Hooligans. Ihr Ansinnen ist aber nicht zu tolerieren. In einem Stadion das Abbrennen von Fackeln zu gestatten, die über 1000 Grad heiß werden können, wäre Wahnsinn. Von mir aus mögen Pyrotechnik-Fans legal angebotene Fackeln auf dem freien Feld abbrennen. Aber bitte mit mindestens 100 Meter Abstand zum nächsten Menschen.