Spielführerin Alexis Olgard will beim Volleyballteam Aurubis beweisen, dass Größe keine Frage der Körperlänge ist

Hamburg. An das Starren der anderen hat sie sich gewöhnt. Daran, dass sie nirgendwo hingehen kann, ohne heimlich beäugt zu werden oder gar offen angeglotzt. „Ich liebe es, groß zu sein“, sagt Alexis Olgard, „es ist etwas Spezielles, etwas, das mich aus der Masse heraushebt.“ Doch auch wenn sie ihr Unbehagen über Fragen zu ihrer Körperlänge mittlerweile mit einem Selbstbewusstsein zu verdrängen sucht, das manche als Arroganz auslegen würden, ist die Irritation darüber spürbar, dass es immer Beobachter geben wird, die sie auf ihre 198 Zentimeter reduzieren, ohne den Menschen dahinter zu sehen.

Alexis Olgard spielt seit Sommer 2014 für das Volleyballteam Aurubis Hamburg in der Bundesliga. Es ist die erste Profistation für die 23 Jahre alte US-Amerikanerin, und dass sie mit Volleyball ihr Geld verdienen würde, war bis zu ihrem 14. Lebensjahr undenkbar, denn das erste Probetraining am Netz, das sie als Grundschülerin absolvierte, war eine Katastrophe. „Ich fand es einfach nur langweilig“, erinnert sie sich. Tanzen wollte das Mädchen, so wie die Mutter, die in Spokane im US-Bundesstaat Washington ein Ballettstudio leitet. Auch Leichtathletik fand sie gut.

Doch weil sie wuchs und wuchs, weil sie ihre drei älteren Schwestern bald um einiges überragte und heute sogar die mit 190 cm auch nicht gerade kleine Mutter, überraschte es niemanden, als sie nach dem Besuch eines Volleyballspiels einer guten Schulfreundin den Entschluss fasste, es doch noch einmal zu versuchen mit Baggern, Schmettern und Blocken. Blocken vor allem, denn natürlich wurde sie sofort als Mittelblockerin ans Netz gestellt, auf die Position, von der aus die gegnerischen Angriffe aufgehalten werden. Gern hätte sie auch mal als Außenangreiferin gespielt, aber ihre Trainer stellten sie nie woanders auf als in der Mitte.

Um nicht nur körperlich zu wachsen, besann sich Alexis Olgard bald der Tatsache, dass menschliche Größe keine Frage der Körperlänge ist. Sie wollte nicht nur dank der Gene ihrer Eltern – der Vater misst mehr als zwei Meter – herausstechen. Ihr Schlüsselerlebnis hatte sie als 16-Jährige. Im Finale der Meisterschaften des Staates Washington lag sie mit ihrem Team 0:2 nach Sätzen und 15:20 zurück – doch mit ein paar deutlichen Worten schaffte sie es, ihre Mitspielerinnen derart mitzureißen, dass das Spiel noch 3:2 gewonnen wurde. „Ich war gefesselt davon, was ein simples Wort für manche verändern kann“, sagt sie. Seit dieser Zeit hat sie in der High School und im College viele ihrer Teams als Kapitänin angeführt.

Dass Cheftrainer Dirk Sauermann ihr in ihrer Premierensaison im Ausland auch sofort dieses Amt übertrug, hat Alexis Olgard zunächst nicht gewundert, zumal die Mannschaft auf elf von zwölf Positionen verändert wurde und deswegen kaum überraschend war, dass eine Neue Kapitänin werden würde. Das begann erst, als ihr klar wurde, dass der Posten in Deutschland eine viel größere Bedeutung hat als in ihrer Heimat. „In den USA ist der Kapitän kein besonderer Spieler. Dort sind alle gefordert, Führungsarbeit zu leisten“, sagt sie. In Deutschland dagegen werde die Binde um den Arm mit herausragender Führungsstärke assoziiert. „Das war mir nicht bewusst, und ich denke auch nicht, dass ich irgendwie besonders bin. Ich respektiere alle meine Mitspielerinnen im selben Maß und möchte nicht, dass man auf mich spezielle Leitungsaufgaben ablädt, die ich nicht erfüllen kann. Wir agieren alle auf Augenhöhe“, sagt sie. Natürlich ist das nicht im Wortsinn gemeint, schließlich beträgt die Größendifferenz zwischen ihr und der kleinsten Spielerin im Kader, Libera Laura Mathias, satte 36 Zentimeter.

Die Atmosphäre im Team empfindet sie entsprechend ihres Selbstverständnisses als „höchst angenehm. Obwohl ich erst wenige Monate hier bin, fühlt es sich so an, als seien wir alle Freunde“, sagt sie. Und natürlich wirkt man im Rudel eines Volleyballteams, in dem viele Mitspielerinnen ebenfalls um die 1,90 Meter lang sind, nicht ganz so exponiert. „Wenn wir mit dem Team mal in die Disco gehen, gucken nicht alle auf mich. Das ist angenehm“, sagt Alexis Olgard, die die Klippen des Alltags, an denen große Frauen zu kentern drohen, galant zu umschiffen gelernt hat. Schuhe kauft sie angesichts von Größe 49 nur im Internet, bei speziellen Anbietern. Klamotten gebe es dagegen in vielen Läden auch in ihrer Größe. In Hotelbetten, die sie in Deutschland durchweg als zu klein empfindet, rollt sie sich zusammen, die Beine in Hockstellung angezogen. Und was Männer angeht, ist sie ganz pragmatisch: „Ich hatte noch nie einen Freund, der kleiner war als ich. Und die, die wegen meiner Größe Angst haben, sprechen mich sowieso nicht an“, sagt sie.

Derjenige, der durch äußere Merkmale hervorsticht, hat es weniger nötig, verbal auf sich aufmerksam zu machen. Alexis Olgard ist deshalb eine sehr besonnene Persönlichkeit. Auf dem Feld ist sie keine, die ihre Emotionen nach außen kehrt, vielmehr besticht sie mit der Ruhe, die sie auch in kritischen Situationen ausstrahlt. Unter Druck ihre Leistung abrufen zu können hält sie für ihre größte Stärke. Ihren Kommunikationsstil beschreibt sie als „Führen durch Beispielgeben“, sie will mit Taten vorangehen. Dass es mit Worten auch nicht immer leicht wäre, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig ist und das Englische zwar im Training die Umgangssprache ist, aber nicht in der Hitze eines Spiels, sagt sie nicht. Dass sie in Neugraben eine Wohnung mit ihren US-Teamkolleginnen Sara Shaw und Kylin Munoz teilt, trägt zur besseren Integration zwar auch nicht bei, ist aber andererseits sehr hilfreich, um das Heimweh gemeinsam zu bekämpfen.

„Ich wollte nach Hamburg, um menschlich zu wachsen“, sagt sie, „aber ich vermisse meine Freunde und Familie schon sehr.“ Deswegen ist unklar, ob sie über die Saison hinaus hier bleibt. Derzeit zählt nur, den Abstieg zu verhindern. Ein Sieg an diesem Sonnabend (18 Uhr, CU-Arena) gegen die Roten Raben Vilsbiburg könnte bereits die Rettung bedeuten. Alexis Olgard hätte nichts dagegen, wenn Zuschauer und Gegner sie und ihr Team nach der Partie anstarren würden – aus Respekt vor ihrer gemeinsamen Leistung.