Zuspielerin Jennifer Lundquist und Mittelblockerin Lucy Charuk wechselten im Paket nach Hamburg. Ihre Qualität soll dem Team helfen, in der Bundesliga zu bestehen und am Sonnabend Schwerin zu besiegen

Hamburg. Es gab da diesen einen Moment, in dem Jennifer Lundquist kurz davor war, ihre Umzugspläne einzustampfen und das Hamburg-Abenteuer abzublasen. Eine Mitspielerin aus dem kanadischen Nationalteam hatte ihr erzählt, dass es in Deutschland keine Erdnussbutter zu kaufen gebe. „Ich ohne Erdnussbutter, das ist nicht vorstellbar“, sagt die 23-Jährige und lacht das ansteckende Lachen, für das sie nach nur wenigen Wochen in ihrem neuen Umfeld beim Volleyballteam Aurubis schon bekannt ist. Als man ihr versichern konnte, dass in gut sortierten Hamburger Supermärkten sehr wohl die zähe Paste angeboten werde, die sich Nordamerikaner gern auf ihr Sandwich schmieren, war sie beruhigt.

Seit Kanada Anfang Oktober in der Vorrunde der WM in Italien gescheitert war, ist Lundquist in Hamburg. Und auch wenn sie wegen einer Sehnenreizung im Kniegelenk nur dosiert trainieren konnte und die ersten beiden Bundesligaspiele verpasste, hat sie das Gefühl, mit ihrer Entscheidung ins Schwarze getroffen zu haben, erstmals in Europa anzuheuern und damit auf eine Profikarriere zu setzen, die in Nordamerika mangels dazu nötigen Ligenbetriebs nicht möglich ist. Das liegt einerseits daran, dass sie außer ihrer Familie und den Bergen rund um ihre Heimatstadt Vancouver nichts vermisst, „weil Hamburg eine tolle Stadt ist und die deutsche Kultur nicht großartig anders als die kanadische“, sagt sie.

Andererseits spielt es eine herausragende Rolle, dass mit Lucy Charuk nicht nur eine Nationalteamkameradin mit nach Hamburg gewechselt ist. Die 25-Jährige ist zugleich auch eine richtig gute Freundin, in Winnipeg teilen sie sich, wenn sie den Sommer über mit dem Auswahlkader trainieren, sogar ein Haus. „Für mich war ein entscheidender Grund, nach Hamburg zu gehen, dass Jennifer hier unterschrieben hatte“, sagt Charuk. Die 190 cm lange Mittelblockerin, die wie Lundquist als 13-Jährige in der Highschool mit dem Nischensport Volleyball begann, spielt seit drei Jahren in Europa. Zwei Spielzeiten im kroatischen Split folgte eine Saison bei OK Kamnik in Slowenien, von wo aus sie zu Aurubis wechselte. „Die Bundesliga hat mich interessiert, hier ist alles professioneller und auf höherem Niveau“, sagt sie.

Arnd Ludwig, der deutschstämmige Nationaltrainer Kanadas, ist überzeugt davon, dass den Verantwortlichen des in der vergangenen Saison sieglos gebliebenen Hamburger Bundesligisten mit der Verpflichtung des Duos ein echter Coup gelungen ist. Charuk könne vom Leistungsstand auch für einen Champions-League-Teilnehmer spielen. Lundquist, deren Vater schwedische Wurzeln hat, sei trotz ihres jungen Alters die unumstrittene Nummer eins auf der Zuspielerposition und werde dies, körperliche Unversehrtheit vorausgesetzt, auf Jahre hinaus bleiben. Entsprechend große Hoffnungen setzt der neue VTA-Cheftrainer Dirk Sauermann in seine Schlüsselspielerinnen. „Wir glauben, dass uns beide sehr helfen werden. Lucy ist sehr effektiv im Block und Schnellangriff, dazu sehr erfahren. Jennifer zeichnet eine hohe Geschwindigkeit und Präzision aus“, sagt er.

Dass der Club trotz negativer Erfahrungen erneut das Wagnis einging, eine Nummer-eins-Zuspielerin zu verpflichten, die erst nach einem großen Turnier und damit kurz vor Saisonstart zum Team stoßen konnte, erklärt Sauermann damit, dass die Paketlösung ihn überzeugt habe. „Lucy und Jennifer haben über den Sommer auf hohem Niveau trainiert und gespielt. Sie kennen einander, harmonieren perfekt und brauchen deshalb kaum Eingewöhnungszeit“, sagt er. „Unsere Chemie stimmt, keine Frage“, sagt Lundquist. Dennoch sei es für sie nicht leicht, sich auf das geringere Spieltempo ihrer neuen Kameradinnen einzustellen. „Ich glaube, dass es schwieriger zu lernen ist, langsamer zu spielen, als sein Tempo zu erhöhen“, sagt die 180 cm große Ballverteilerin. Dass jedoch im Mittelblock mit Alexis Olgard und auf den Außen mit Kylin Munoz und Sara Shaw drei US-Amerikanerinnen auf ihre Zuspiele warten, sollte die Kommunikation erleichtern. „Wir haben schon darauf geachtet, dass das sprachlich passt und die neue Angriffsformation keine lange Gewöhnungszeit benötigt“, sagt Sauermann, der Lundquist sogar persönlich in Nordamerika beobachtete und damit gehörigen Eindruck hinterließ.

Wer die beiden Kanadierinnen im gemeinsamen Gespräch erlebt, der spürt die Harmonie zwischen ihnen, die über das Zusammenwirken auf dem Spielfeld hinausgeht. Zwar teilen sie in Neugraben nicht die Wohnung, da Lundquist von ihrem Freund begleitet wird. Aber natürlich entdecken sie gemeinsam die Stadt oder kehren bei Starbucks ein, der Kaffeekette ihres Vertrauens. Charakterlich sind sie jedoch grundverschieden. Während die schüchtern wirkende Lundquist Entspannung bei Wandertouren findet, entwirft die von ihrer als Landschaftsmalerin tätigen Mutter inspirierte Charuk gern Tattoomotive. Vier davon hat sie sich selbst stechen lassen, ein fünftes soll in Hamburg dazukommen. Unter ihrem Nutzernamen „lucyjune13“ schreibt sie zudem bei WordPress einen Blog über ihre Erfahrungen in Europa.

An diesem Sonnabend wünscht sie sich Inspiration für die nächste Folge. Titelfavorit Schweriner SC gastiert um 18 Uhr in der CU-Arena, nach den Aufeinandertreffen mit den eher im Tabellenkeller angesiedelten VfB Suhl (1:3) und VCO Berlin (3:1) ist es die erste hohe Hürde in der jungen Bundesligakarriere. Doch dass sie sie gemeinsam überspringen könnten, weil Lundquist sich für ihr Debüt bereit fühlt, macht beiden Mut. Sie haben für ein Jahr in Hamburg unterschrieben und keinen Plan, wie lange ihr Europa-Abenteuer dauern soll. Aber sie wollen das Maximum an Spaß, Erfolg und Erfahrung herausholen. Sie möchten die Sprache lernen, auch wenn im Training Englisch gesprochen wird. Sie wollen mehr über die Geschichte der Stadt wissen, in der sie jetzt leben. Und sie hoffen, dabei helfen zu können, dass der sportliche Erfolg zurückkehrt zum VT Aurubis. Fehlt also nur, dass die Erdnussbutter niemals leer wird.