Der Abschlussbericht der Fifa-Ethikkommission zur WM-Vergabe an Russland und Katar droht zur Farce zu werden. Chefermittler Garcia will offenbar Einspruch gegen die Schließung des Falls einlegen.

Frankfurt. Chefermittler gegen obersten Richter: Der Abschlussbericht der Fifa-Ethikkommission zur WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2022 droht zur Farce zu werden. Erst sprach der deutsche Richter Joachim Eckert die Ausrichter der beiden Endrunden am Donnerstag von jeglichem Korruptionsverdacht frei, dann wetterte Michael J. Garcia gegen die „unvollständigen und fehlerhaften“ Fakten der rechtsprechenden Kammer. Der frühere USA-Staatsanwalt plant Einspruch einzulegen – damit würde der Autor gegen den Auswerter des mit Spannung erwarteten Berichts vorgehen.

Keine Korruption, kein Skandal, keine Neuvergabe – diese Auffassung hatte Eckert als Vorsitzender der Kammer am Donnerstagmorgen veröffentlicht. Die offizielle Untersuchung schien damit ins Leere gelaufen zu sein. Die Ethikkommission fand nach Eckerts Lesart keine Beweise, die eine erneute Ausschreibung und Vergabe der kommenden beiden Endrunden rechtfertigen würden. Inwieweit auch Garcia, der seit 2012 als Verantwortlicher der Untersuchungskammer ermittelt hatte, dieser Ansicht ist, ist nun völlig offen.

„Die Untersuchungskammer hat weder Vergehen noch Verstöße gegen die maßgebenden Bestimmungen und Regelungen festgestellt“, heißt es in der von Eckert unterschriebenen Stellungnahme. Der Münchner Richter hatte Garcias Untersuchungsbericht seit Anfang September ausgewertet und regt unter anderem eine Reform des Vergabeprozesses für künftige WM-Turniere an. Die endgültige Entscheidung liegt in den Händen des Fifa-Exekutivkomitees um Präsident Joseph S. Blatter – die „Weltregierung des Fußballs“ wird aber heilfroh sein, sich nun nicht mehr mit den Korruptionsvorwürfen befassen zu müssen.

Kritik wird nicht abnehmen

Die massive Kritik an beiden Turnieren wird – unabhängig von Garcias Kritik an der Schlussbewertung – allerdings kaum abnehmen. Erst tags zuvor hatte die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International dem Wüstenstaat Katar erneut ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt – immer wieder schockieren Berichte von unmenschlichen Arbeitsbedingungen am Persischen Golf die Weltöffentlichkeit. Russland 2018 war zuletzt im Zuge der Ukraine-Krise und des Hardliner-Kurses von Präsident Wladimir Putin auch von deutschen Politikern infrage gestellt worden.

Entsprechend zurückhaltend reagierten die Spitzen des deutschen Fußballs. „Wenn Herr Eckert zu dem Schluss kommt, dass es keine nachweisliche Beeinflussung der WM-Vergabe gegeben hat, dann steht weiterhin die mit 14:8 Stimmen getroffene Entscheidung des Exekutivkomitees für Katar“, sagte Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): „Unabhängig von diesem Bericht bleiben aber die offenen Fragen zum Klima, der Terminierung und den Arbeitsbedingungen in Katar.“ Liga-Präsident Reinhard Rauball sprach von weiterhin „guten Gründen, eine WM in Katar sehr kritisch zu sehen“.

Die Ethikkommission betonte, sich die Eröffnung von Ermittlungsverfahren gegen einzelne Fifa-Offizielle offen zu halten. Namen wurden in der 42-seitigen Stellungnahme nicht genannt, der komplette „Garcia-Report“ dürfte aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht werden. Zwar seien „bestimmte Vorfälle“ im Zuge der Bewerbungen identifiziert worden, teilte Eckert mit, jedoch seien „die Einflüsse auf die Vergabe als Ganzes weit davon entfernt, eine neue Ausschreibung notwendig zu machen“. Getadelt wurden unter anderem die unterlegenen Bewerber aus Australien und England – der Austausch von kleineren Geschenken schien durchaus üblich gewesen zu sein.

Die Endrunden in vier und acht Jahren waren am 2. Dezember 2010 erstmals im Doppelpack vergeben worden. Schon damals gab es an diesem Verfahren massive Kritik, weil so Absprachen und Stimmentausch Tür und Tor geöffnet worden waren. Von den 22 stimmberechtigten Mitgliedern des Fifa-Exkos sind noch zwölf im Amt, aus Deutschland votierte Franz Beckenbauer (bis 2011 im Exko).

Blatter wird ausdrücklich gelobt

Blatter, der im kommenden Jahr in seine fünfte Amtszeit gewählt werden will, wurde von der Ethikkommission ausdrücklich gelobt. Der 78-Jährige verdiene „Anerkennung“ für die Kooperation der Fifa mit den Ermittlern, schrieb Eckert. Das katarische Organisationskomitee sprach von „einer fairen und angemessenen Bewertung, die die Integrität und Qualität unserer Bewerbung demonstriert“.

Auch aufgrund der wachsenden öffentlichen Kritik beauftragte der Weltverband den früheren „Mafia-Jäger“ Garcia mit der Aufklärung der Korruptionsvorwürfe. Der frühere US-Staatsanwalt, dem exzellente Kontakte zum FBI nachgesagt werden, hatte insgesamt 75 Zeugen befragt und über 200.000 Seiten Material gesichtet.

In Deutschland sorgte vor allem die Sperre für Beckenbauer für Aufsehen. Der „Kaiser“ war wegen „mangelnder Kooperation“ von der Fifa während der WM in Brasilien provisorisch gesperrt worden. Erst anschließend hatte er die Fragen Garcias beantwortet, die Sperre wurde daraufhin zügig aufgehoben. Beckenbauer hatte erklärt, die in „Juristen-Englisch“ gestellten Fragen nicht richtig verstanden zu haben. Eine Befragung auf Deutsch sei abgelehnt worden.

Am 5. September hatten Garcia und dessen Stellvertreter Cornel Borbély ihren Untersuchungsbericht an Eckert weitergeleitet. Der deutsche Richter betonte zwischenzeitlich, „nur vier Personen“ hätten das Ergebnis der Untersuchung gesehen. Ob und in welchem Umfang mögliche Ermittlungen des FBI, das laut Medienberichten sogar einen Spitzel ins Fifa-Exko eingeschleust hatte, der Ethikkommission zugänglich gemacht wurden, ist offen.

In den öffentlichen Fokus gerückt war die Untersuchung kurz vor der WM 2014 in Brasilien, als britische Zeitungen seitenweise vermeintliches Beweismaterial veröffentlichten. Die Schlüsselfigur in den „Katargate“-Berichten war der frühere Fifa-Funktionär Mohamed Bin Hammam (Katar), der bereits 2011 überführt worden war, sich im Präsidenten-Wahlkampf gegen Blatter Stimmen gekauft zu haben. Die Trennung der Beweise für diese Bestechung und für den vermeintlichen Stimmenkauf für die WM-Vergabe galt als schwerste Aufgabe der Ethikkommission. Am Ende reichte aber offenbar das belastende Material nicht aus, um eine Neuvergabe der WM-Endrunden in die Wege zu leiten.