Hamburgs Talentsichtung an Schulen funktioniert. Leichtathlet Malte Stangenberg und Basketballerin Muska Saidi zeigen es. Am Sonntag findet das Finale der 9. Kinder-Olympiade statt.

Hamburg. Wenn Joachim Witt über Malte Stangenberg spricht, versucht der Talenttrainer des Hamburger Sportbundes (HSB) nicht zu euphorisch zu klingen. „Man sollte bei so jungen Menschen besonders vorsichtig sein, wenn man Prognosen anstellt“, sagt Witt, „doch seine 8,83 Sekunden über 60 Meter Hürden sind für sein Alter eine außergewöhnlich gute Zeit.“

Malte ist 13, selbstbewusst, ein herausragender Schüler. In der Grundschule hat er eine Klasse übersprungen, und wahrscheinlich wird er bereits mit 16 sein Abitur auf dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium in Wilstorf bauen. Besagte 8,83 Sekunden ist in den vergangenen fünf Jahren niemand in Deutschland gelaufen, der unter 15 war. Und es schwingt schon ein wenig Stolz in seiner Stimme mit, wenn er davon erzählt. Sein Vater war Zehnkampfmeister in Niedersachsen. Mit sieben Jahren hat sich Malte für die Leichtathletik und gegen Fußball entschieden. „Es macht einfach Spaß zu trainieren, um dann im Wettkampf anhand der Zeiten zu sehen, dass man sich verbessert hat, dass sich der Aufwand gelohnt hat.”

Auch Alexander May, der Landestrainer des Hamburger Basketballverbandes, bemüht sich um Zurückhaltung, wenn das Gespräch auf Muska Saidi kommt. Begabt sei sie, sagt May dann, zweifellos eine talentierte Aufbauspielerin, „schnell, wendig, mit gutem Auge und sehr guter Auffassungsgabe“. Auch Muska ist 13. Beim Ahrensburger TSV spielt sie in der U15 und U17. An diesem Wochenende stellt sich die Nationalmannschafts-Kandidaten im Landesleistungszentrum am Alten Teichweg den Jugend-Bundestrainern vor. Das blaue Trikot für das Auswahlteam besitzt sie bereits.

Muskas Mutter spielt ebenfalls Basketball. Sie sei ihr Vorbild, sagt die Tochter. Auch Muska ist eine sehr gute Schülerin. Sie besucht das Matthias-Claudius-Gymnasium in Wandsbek, trainiert nachmittags viermal in der Woche. Bei der Frage, ob sie sich vorstellen könne, später einmal an ein College in den USA zu gehen, um ihr Basketballspiel zu perfektionieren, lächelt sie verlegen. „Wenn ich die Chance erhalte, warum nicht. Aber im Augenblick denke ich nicht so weit.“

„Vom Kindergarten zum Olympiasieg“

Malte Stangenberg und Muska Saidi sind zwei hoch talentierte Nachwuchssportler, deren Weg an die Spitze ihrer Altersklasse beispielhaft für die neue Sportförderung in Hamburg steht, für Sichtung, Förderung und Ausbildung. „Vom Kindergarten zum Olympiasieg“ nennt Klaus Widegreen, HSB-Vizepräsident Leistungssport, das bundesweit einmalige Konzept. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat den Hamburger Weg als vorbildlich eingestuft. „Das Talentprogramm und deren Umsetzung entspricht genau unseren Vorstellungen, wie an der Basis Talente für morgen und übermorgen gesucht und akquiriert werden“, sagt DOSB-Präsident Alfons Hörmann.

Wer wann welche Idee als Erster hatte, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. „Die 26 Hamburger Topsportvereine“, erzählt Frank Fechner, der Vorsitzende des Eimsbüttler Turnverbandes (ETV), „suchten vor neun Jahren nach einen gemeinsamen Auftritt, wollten etwas für den Spitzensport tun und erfanden die Kinder-Olympiade. An der kann jedes Kind von fünf bis zehn Jahren kostenlos teilnehmen, ohne Mitglied eines Clubs zu sein.“ An diesem Sonntag (11 bis 14 Uhr) findet das Finale in der Leichtathletik-Trainingshalle an der Winterhuder Krochmannstraße zum neunten Mal statt. 132 Kinder haben sich für die Endrunde qualifiziert, mehr als 7500 hatten vergangenes Wochenende an den Vorentscheidungen in 24 Topsportvereinen teilgenommen, 60.000 seit der Premiere 2006.

Das Ausleseverfahren ist in neun Jahren in Vor- und Endkämpfen dasselbe geblieben. Die Kinder müssen einen Parcours absolvieren, auf dem ihre motorischen Fähigkeiten – Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination – spielerisch getestet werden. Die Schnellsten schaffen die Strecke in weniger als 40 Sekunden. Den Parcours hat der HSB in Abstimmung mit seinen Vereinen und der Universität Hamburg entwickelt. Malte Stangenberg siegte vor fünf Jahren bei der 4. Kinder-Olympiade, Muska Saidi platzierte sich damals unter den ersten zehn. Seitdem werden beide speziell gefördert, zunächst an ihren Schule, später in Vereins- und Verbandsgruppen.

800 Kinder an 60 Grundschulen werden vom HSB betreut

Die Kinder-Olympiade ist eine Säule der Sichtung, das flächendeckende Screening in allen zweiten oder dritten Klassen der 200 Hamburger Grundschulen die andere. Der Parcours-Test ist für alle Schulen verpflichtend. Aus den Ergebnissen sollen die Lehrer Programme für alle, auch für die Schwächeren entwickeln, ihren Sportunterricht auch auf deren Defizite abstimmen. In ihren Schulen werden die Besten jedes Jahrgangs, bis zu 14, einmal pro Woche in Talentaufbaugruppen weiter gefordert und gefördert. Rund 800 Kinder in 71 Gruppen an 60 Grundschulen werden derzeit vom HSB betreut, in Kooperation mit 20 Clubs. 200.000 Euro stellt die Stadt für die Bezahlung der Trainer zur Verfügung. Dekadenziel bleibt, dass dieser zusätzliche Sportunterricht an allen Grundschulen stattfindet.

Bis zum Ende der vierten Klasse werden die Kinder sportartübergreifend in Grundfertigkeiten ausgebildet, danach sprechen die Trainer Empfehlungen für Sportarten aus. Idealerweise sollten die Talente von der fünften Klasse an Schulen mit Sportklassen besuchen, in denen das Training in den Unterricht integriert ist wie an der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg oder der Eliteschule des Fußballs an der Stadtteilschule Heidberg und am Gymnasium Heidberg. Zehn Standorte sind über ganz Hamburg verteilt geplant. Sechs gibt es schon. „Der Anfang ist gemacht. Genügend qualifizierte Trainer zu finden und ausreichend Hallenzeiten zu bekommen, das wird jetzt die Herausforderung für die nächsten Jahre“, sagt Fechner. Schön wäre es zudem, ergänzt HSB-Vize Widegreen, „wenn es für alle unsere Talente später auch die entsprechenden Bundesligateams in Hamburg geben würde, damit niemand die Stadt verlassen muss“.