Dima Weimer war einst ein Ladendieb. Jetzt ist der Hamburger Polizist und kämpft als erster deutscher Kickboxer beim Weltserienfinale in China. Seine Gedanken sind allerdings auch bei den Kollegen in der Heimat.

Hamburg. Als er die Nachricht hörte von der Attacke auf die Davidwache und dass einem Polizisten mit einem Stein der Kiefer gebrochen worden war, da war Dima Weimer zerrissen zwischen zwei Gefühlen. „Meine Gedanken waren bei den Kollegen, ich fühlte Mitleid, aber auch einen tiefen Frust“, sagt er. Frust darüber, dass es Menschen gibt, die Polizisten so sehr hassen, dass sie deren Tod in Kauf nehmen. Aber auch darüber, dass Menschen wie er täglich ihr Leben riskieren und dafür zu wenig Wertschätzung erfahren.

Man könnte verstehen, wenn Dimitrij Weimer, den alle nur Dima nennen, in diesen Tagen mit seinen Gedanken nicht bei den Kollegen wäre. Schließlich steht der fünffache Kickbox- und K1-Weltmeister vor dem Höhepunkt seiner sportlichen Laufbahn. Am Dienstagmorgen flog er in Begleitung der Hamburger Kampfsportlegende Ralf Stege und des Gladiator Fight Teams nach China, dem Mutterland des Kampfsports. Dort steht am Sonnabend (13 Uhr MEZ/live im Internet unter tv.cntv.cn/live/henan) das Finalturnier der weltweiten Wu Ling Feng (WLF)-Serie an.

Weimer, der sich in zwei Ausscheidungskämpfen in Hamburg und Dubai durch Siege gegen Chinesen ins Blickfeld schlug, ist der erste Deutsche und einer von vier Nicht-Chinesen, der in der Gewichtsklasse bis 70 Kilogramm startet. Acht Mann kämpfen an einem Abend im K.-o.-Modus gegeneinander. Wer verliert, scheidet aus. Wer dreimal siegt, kassiert 100.000 Dollar Prämie – und steigert seinen Bekanntheitsgrad vor allem in Asien immens, immerhin überträgt das chinesische Staatsfernsehen live, und Kampfsport ist im Reich der Mitte eine große Attraktion. „Für mich ist es eine riesige Ehre und eine tolle Erfahrung, dabei zu sein“, sagt Weimer.

Und doch kann der 28-Jährige Augen und Ohren nicht verschließen vor den Krawallen in seiner Stadt, vor den Attacken auf diejenigen, mit denen er gewöhnlich Seite an Seite steht. Temporär hat er den Dienst auf der Straße eingetauscht gegen ein zweijähriges Studium an der Polizeiakademie. Aber im April, wenn er die Prüfungen bestanden hat und zum Kommissar aufgestiegen sein wird, dann will er zurückkehren zur Bereitschaftspolizei, mit der er vier Jahre lang unterwegs war an den Brennpunkten der Republik. Bei den Mai-Krawallen in Berlin, bei den Anti-Atom-Protesten in Gorleben, bei Neonazi-Demos in Niedersachsen oder bei Fußballspielen in Hamburg und als Nachtstreife auf dem Kiez.

Probleme mit der Staatsmacht

Dima Weimer war keiner von diesen Jungs, die immer schon Polizist werden wollten. Im Gegenteil, er war einer, der Probleme hatte mit der Staatsmacht. Als Neunjähriger war er mit dem russischen Vater, der russlanddeutschen Mutter und der ein Jahr jüngeren Schwester Ina aus Usbekistan nach Hamburg gekommen. Die Familie lebte zunächst zwei Jahre in einem Containerdorf für Spätaussiedler in Neugraben, anschließend ging es nach Neuwiedenthal, einen der sozialen Brennpunkte in Hamburgs Süden. Dima, damals eher schmächtig und auch heute mit 178 Zentimetern und 76 Kilogramm kein Kraftprotz, sprach anfangs kaum ein Wort Deutsch, er wurde in der Schule gehänselt. „Ich fühlte mich als Außenseiter und habe mich zu den anderen Russlanddeutschen in der Siedlung hingezogen gefühlt.“

Schnell bekam er Zugang zu einer Jugendgang, die die Grenzen der Gesetze auslotete. Er wurde bei Ladendiebstahl erwischt und hatte oft Ärger mit der Polizei. Erst als er als Zwölfjähriger bei der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft unter Trainer Rolf Brandt mit Karate begann, legte sich im Kopf ein Schalter um. „Der Sport war meine Rettung. Durch ihn habe ich gelernt, mich an Regeln zu halten, andere zu respektieren und diszipliniert und fleißig zu arbeiten“, sagt er. Von da an gab es nur noch Sport und Schule. Mit 17 hatte er den Schwarzgurt in Karate, dann wechselte er zu Kickboxtrainer Lutz Burmester ins Xite-Gym nach Trittau, wo er bis heute trainiert, obwohl er mit seiner Freundin weiterhin in Meckelfeld südlich von Hamburg lebt.

Beileibe kein Haudrauf

Um weiterhin viel Zeit für seinen Sport zu haben, suchte Weimer nach dem Abitur einen Beruf, der ihm eine Verbindung von Sport und Arbeit ermöglichte, und landete ausgerechnet auf der Seite, die einige Jahre die feindliche gewesen war. Aber gerade das, so glaubt er, habe ihm die Sichtweise ermöglicht, mit der er heute sein Umfeld betrachtet. Er ist beileibe kein Haudrauf, sondern ein besonnener, bedachter Mensch, der seine Stärke in der Kommunikation sieht. „Die Waffe des Schutzmannes ist das Wort“, sagt er. Häufig komme er bei Einsätzen mit dem Gegenüber ins Gespräch. „Hass entsteht durch gegenseitige Vorurteile. Ich frage, was die Menschen antreibt, sich aufzuregen, und oft entspannt sich dann die Lage.“ Oft stellt er auch fest, dass viele gar nicht wüssten, wogegen sie gerade demonstrieren. „Die sind einfach mit ihren Freunden mitgelaufen in der Hoffnung auf Action. Und darin erkenne ich mich selbst als Zehnjährigen wieder“, sagt er.

Dass das Gewaltmonopol in der Hand der Polizei bleiben sollte, sei ebenso richtig wie der Fakt, dass es Beamte gibt, die mit diesem Monopol nicht umzugehen wüssten. „Gerade die Polizei muss sehr zurückhaltend und verantwortungsbewusst handeln, was den Einsatz von Gewalt angeht“, sagt er. Flaschen und Steine hat man ihm oft an den Kopf geworfen, zum Glück hat ihn immer der Helm geschützt. Die unzähligen verbalen Angriffe prallen ebenso an ihm ab.

Natürlich hat Dima Weimer auch Verständnis für Kollegen, die nach 18 Stunden Bereitschaftsdienst nicht mehr besonnen reagieren. Er selbst versuche, alle Situationen durch Reden zu lösen. Dabei hilft ihm, dass er nicht nur Deutsch, Russisch, Englisch und Französisch, sondern auch die Sprache der Außenseiter, der Benachteiligten und Aggressiven beherrscht. Als er einmal ein Projekt in der berüchtigten Jugendhilfeeinrichtung Feuerbergstraße leitete, da hätten ihm die kriminellen Jungs nur zugehört, weil sie in ihm den Kickboxweltmeister sahen. „Als Polizist hätten die mich überhaupt nicht beachtet“, sagt er.

„Manchmal mit anderen Mitteln begegnen“

Natürlich gibt es auch die, die nicht mehr reden wollen, die ihre „All Cops Are Bastards“-Attitüde vor sich hertragen und die Polizei in ihrer Gesamtheit als Feindbild haben. „Denen muss man leider manchmal mit anderen Mitteln begegnen“, sagt Dima Weimer, „dennoch versuche ich immer zu bedenken, dass es eine Vorgeschichte für den Hass geben muss.“ Seine Kampfsportfertigkeiten habe er im Einsatz noch nie angewendet, sie gelten als unverhältnismäßig gefährliche Waffe und dürften nur in Notwehr eingebracht werden. „Aber das Wissen, dass ich mich wehren könnte, hat mir ein natürliches Selbstvertrauen verliehen, das mir Sicherheit gibt.“

Er ist ein Idealist, dieser Dima Weimer, einer, der den Kopf hinhält für wenig Geld und noch weniger Anerkennung, weil er weiß, dass es getan werden muss, und der sich zudem einen Sport gesucht hat, in dem es genauso läuft. Den ewigen Kampf gegen Vorurteile, die es gegen das Kickboxen in der Gesellschaft gibt, schlägt er gern. Die Hoffnung, durch die Unterstützung von Stege und seinem neuen PR-Berater Steffen Soltau, der mit seiner Firma Selected Performance die Vermarktung übernommen hat, zu etwas mehr Geld als die rund 1500 Euro pro Kampf zu kommen, lebt ebenso.

Vor allem aber ist sein Sport der perfekte Ausgleich für den Stress im Beruf. Er hilft ihm, die belastenden Bilder aus dem Kopf zu kriegen, die Gedanken an Gewalt und Tod, mit denen er jeden Tag konfrontiert wird. Deshalb will er nach der aktiven Karriere als Trainer weiterarbeiten und Jugendliche auf den Weg führen, den er für den richtigen hält. Er wird, so viel steht fest, immer ein Kämpfer bleiben.