Die „Kolbe-Spritze“ mit verbotenen Substanzen sollte westdeutsche Athleten schneller machen. Peter-Michael Kolbe vertrug sie nicht. Doping-Studie jetzt doch im Internet veröffentlicht.

Berlin. Plötzlich ging alles ganz schnell. Nach einem monatelangen Streit um die Veröffentlichung der Studie „Doping in Deutschland seit 1950“ überschlugen sich am Montag die Ereignisse. Gegen 12 Uhr kündigte das Bundesinnenministerium (BMI) an, der Abschlussbericht zur brisanten Studie würde noch am selben Tag auf der Seite des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) veröffentlicht.

Wie das BMI weiter mitteilte, sei „die datenschutzrechtliche Beratung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit abgeschlossen“. Auf Nachfrage, warum plötzlich alles so schnell ginge, hieß es nur, man habe „großes Interesse an einer lückenlosen Aufklärung der Doping-Geschichte in beiden Teilen Deutschlands“. Doch sicherlich reagierten das BMI und das ihm unterstehende BISp auch auf Vorwürfe, man wolle Fakten vertuschen.

Zudem wurde der Gegenwind durch die Vorabberichterstattung in einigen Medien immer unangenehmer. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte mit Verweis auf die Studie davon geschrieben, dass „im westdeutschen Sport in einem erschreckenden Umfang und mit einer kaum glaublichen Systematik gedopt“ worden sei. Zudem sei diese Praxis von staatlichen Stellen unterstützt worden.

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Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, sagte kurz vor Bekanntgabe der Veröffentlichung dem Sport-Informations-Dienst: „Ich erwarte, dass uns die Ergebnisse der Studie unverzüglich vorgelegt werden.“ Anschließend wunderte sich auch die Politikerin über die Kehrtwende: „Über Monate hat man gesagt, dass die Studie aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht werden kann. Schlagartig hat sich über das Wochenende die Sachlage nun ins Gegenteil gekehrt.“

Auch Giselher Spitzer, einer der Hauptautoren der Studie, war für eine rasche Publikation eingetreten. „Ich fordere, dass der Abschlussbericht so schnell wie möglich veröffentlicht wird“, sagte der Berliner Sportwissenschaftler dem Sid. Unter Federführung von Spitzers Team der Berliner Humboldt-Universität war der Abschlussbericht erstellt worden. Der Berliner Forscher hatte 2009 den Auftrag zu dem Forschungsprojekt durch das BISp erhalten. Initiiert wurde die Untersuchung vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Ende März 2012 wurde die Zahlung an die Berliner Forscher eingestellt, sodass Spitzer und Co. nicht mehr an der Aufarbeitung der Jahre 1990 bis heute beteiligt waren.

Welchen Stellenwert leistungsfördernde Mittel in den siebziger Jahren in Westdeutschland hatten, zeigte nicht zuletzt auch die sogenannte Kolbe-Spritze. Bei Olympia 1976 sollen laut „SZ“ rund 1200 deutsche Athleten die Spritze mit allerdings zumindest damals nicht verbotenen Substanzen erhalten haben. Der Ruderer Peter Michael Kolbe, Namensgeber des Geräts, brach im Einer-Finale von Montreal ein, weil er die Spritze nicht vertrug. „Ich habe kurz vor dem Rennen eine Vitamin-Spritze bekommen. Ich führe darauf meine plötzliche Ermüdung kurz vor dem Ziel zurück“, sagte Kolbe dem ZDF.

Laut SZ-Informationen nahmen Mediziner aus Freiburg, der westdeutschen Keimzelle der Doping-Forschung, erst in den neunziger Jahren Stellung zu der Kolbe-Spritze: Sie sei laut Studie „auch zur Leistungssteigerung gegeben worden“, hieß es.

Freiburg und dessen Leiter Professor Joseph Keul erforschten unter abenteuerlichen Decknamen leistungssteigernde Substanzen und erhielten Rückendendeckung vom Bund. „Wenn keine Gefährdung herbeigeführt wird, halten sie leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister des Inneren teilt grundsätzlich die Auffassung“, sagte damals Gerhard Groß, Staatssekretär im BMI.

Wie die Studie laut „SZ“ auch erklärt, haben westdeutsche Wissenschaftler eine Überlastung der Top-Athleten provoziert, um die gewünschten Mittel wie Testosteron einsetzen zu können. Das soll bei Athleten Gesundheitsschäden zur Folge gehabt haben. Für derlei Forschung seien Steuergelder von den Wissenschaftlern zweckentfremdet und Gesundheitsschäden in Kauf genommen worden.

Über die Rolle der Politik in Westdeutschland sagte der der frühere Kugelstoß-Bundestrainer Hansjörg Kofink der „FAZ“: „Sie haben sich immer herausgehalten, die Souveränität des Sports vorgeschoben und das Geld vom Bundesinnenministerium, das für Sport zuständig ist, überweisen lassen.“ Es habe einen Hinweis an den Sport gegeben. „Die Bundesrepublik hat in den siebziger Jahren das Signal an die Medizin gesendet: Macht ein bisschen was, wenn wir dann mithalten können.“

Bundesdeutsche Spitzenathleten konnten den mutmaßlichen Tenor der Studie bislang nicht bestätigen. Klaus Wolfermann, 1972 Olympiasieger im Speerwurf, sagte dem Sid: „Ich habe nie was genommen, erst später was gehört. Meine Leistung war absolut sauber. Mich hat nie ein Trainer oder Arzt angesprochen und mir was anbieten wollen“, sagte Wolfermann, fügte aber an: „Aber wenn man hört, was so alles passiert sein soll, dann wäre das unverantwortlich, und wenn die Verbände vieles vertuscht haben, war das schlichtweg eine Sauerei.“