Große Emotionen beim Bruder-Duell und ein Stromausfall: Die Baltimore Ravens bezwangen die San Francisco 49ers in einer denkwürdigen Partie.

New Orleans. In der Stunde seines größten Erfolges plagte Ravens-Coach John Harbaugh ein schlechtes Gewissen. Nach Baltimores dramatischem 34:31-Super Bowl-Triumph gegen die San Francisco 49ers jubelten seine Spieler glücksbeseelt und ausgelassen im Konfetti-Regen des Superdomes von New Orleans. Nur Meistermacher Harbaugh konnte und wollte zunächst nicht so recht in die Jubelorgie am späten Sonntagabend einstimmen. Im Mittelkreis ging er auf seinen Bruder Jim zu, nahm den 49ers-Coach in den Arm und flüsterte ihm ein „Ich liebe dich“ ins Ohr. Es war das emotionale Ende eines spektakulären Football-Festes, das wegen eines Stromausfalls zu Beginn des dritten Quarters 36 Minuten lang unterbrochen werden musste.

„Wie kann es auch anders sein? Es ist niemals schön, es ist niemals perfekt, aber so sind wir eben“, stammelte John Harbaugh nach dem zweiten Titelgewinn der Vereinsgeschichte und verglich seinen nervenstarken Quarterback Joe Flacco sogar mit einem eiskalten Gauner: „Er war phänomenal. Er hat den Mut eines Einbrechers.“ Der Hochgelobte, der dank seiner drei Touchdown-Pässe zum wertvollsten Spieler der Partie gewählt wurde, rannte nach dem Zittersieg unkontrolliert durch die Arena. „Das wird ne Weile dauern, bis ich das begreife“, erklärte Flacco, „diesen Sieg haben wir für alle Ewigkeit.“ Die Profis der 49ers saßen oder lagen nach ihrer vergeblichen Aufholjagd dagegen minutenlang fassungslos auf dem Spielfeld. Viele weinten vor Enttäuschung.

Die Begegnung der unerfreulichen Art hatte für die erfolgsverwöhnten Kalifornier schon denkbar schlecht begonnen. Nach ihrem hochtourigen Start dominierten die Ravens die erste Halbzeit unerwartet deutlich. Anquan Boldin, Dennis Pitta und Jacoby Jones fingen drei Touchdown-Pässe des starken Flacco und sorgten so für eine verdiente 21:6-Pausenführung des Außenseiters.

In der Halbzeit brachte Weltstar Beyoncé die Massen zum Kochen, unmittelbar zu Beginn des dritten Quarters lieferte Ravens-Wide Receiver Jones mit einem 108 Yard-Kickoff-Return den nächsten Höhepunkt. Die Ravens lagen scheinbar uneinholbar mit 28:6 vorn, den 49ers fehlte bis dahin jede Energie – und dann fiel im Stadion der Strom aus.

Sensoren hatten eine Auffälligkeit im Arena-System festgestellt, so dass die Stromzufuhr seitens des Zulieferers „Entergy“ automatisch abgeschaltet wurde. Die Anzeigetafel blieb mehr als eine halbe Stunde lang schwarz, das Internet brach zusammen, lediglich die Beleuchtung unter der Hallendecke funktionierte noch teilweise. Die Spieler hielten sich mit Dehnübungen warm, die Cheerleader schoben Extraschichten, und die Zuschauer feierten sich mit selbst. Beide Teams nahmen’s gelassen – „solche Sachen passieren halt, damit muss man einfach klar kommen“, erklärte Flacco.

Als der Strom wieder floss, drehte auch San Francisco endlich auf. Die Defensive setzte Baltimore unter Druck, in der Offensive übernahm Quarterback Colin Kaepernick das Kommando. Bis zum Ende des dritten Viertels waren die Kalifornier auf 23:28 herangekommen. „Wir haben uns zurückgekämpft, alles gegeben, um zu gewinnen“, konstatierte Jim Harbaugh. In der vorletzten Minute war sein Team beim Stand von 29:34 nur fünf Yards von Baltimores Endzone und damit dem sechsten Titel der Clubhistorie entfernt. Einen vierten und letzten Touchdown-Versuch hatten die 49ers noch, doch der Wurf von Kaepernick auf Wide Receiver Michael Crabtree war etwas zu hoch. Baltimore bekam den Ball und konnte sich letztlich sogar noch einen Safety zum 31:34-Endstand erlauben.

„Dieses Spiel war wie unsere gesamte Saison. Es hat gut begonnen, dann wurde es richtig hässlich und ging schließlich großartig zu Ende“, analysierte Ravens-Profi Ed Reed sichtlich ergriffen. Selbst Middle Linebacker Ray Lewis, besonders hart im Nehmen, suchte nach Worten. „Was wir heute als Team erreicht haben, ist das Ultimative. Baltimore, wir bringen das Ding hier nach Hause“, schrie Lewis ins Stadionmikrofon und reckte die Vince Lombardy-Trophy Richtung Hallendecke. Der 37-Jährige war schon 2001 beim ersten Titelgewinn der Ravens dabei und beendet nun nach 17 Profi-Jahren seine Karriere. Er könne es kaum erwarten, für die Sieger-Parade nach Hause zu kommen, betonte Flacco, der sich nach dem Coup auf einen neuen Multi-Millionen-Dollar-Vertrag freuen darf.

Am Dienstag werden Hunderttausende in Baltimore ihre Ravens-Helden beim Umzug durch die Stadt feiern. Dann wird auch John Harbaugh losgelöst jubeln können. Der Sieg, so der 50-Jährige, sei großartig, aber zugleich auch schwer für ihn. „Am Ende auf Jim zuzugehen, war das Härteste, das ich bislang erlebt habe“, gab er zu. Auch für seinen 15 Monate jüngeren Bruder war’s nicht leicht – er war der Verlierer des Harbowls – allerdings ein fairer. „Gratulation John“, sagte er, „ich bin stolz auf dich.“