Oliver Roggisch ist eigentlich der Mann fürs Grobe. Bei der WM in Spanien präsentiert sich der Abwehrchef aber in neuer Form.

Saragossa. Unschuldsmiene, wackelnde Hände, die in der Luft einen imaginären Ball formen, und ein unwissendes Schulterzucken: Wieder einmal haben die Schiedsrichter das Spiel unterbrochen – und Oliver Roggisch weiß beim besten Willen nicht, warum sein Gegenspieler zu Boden gegangen ist. Mimik und Gesten drücken Ahnungslosigkeit aus. Die Referees zeigen dem Abwehrchef der deutschen Handball-Nationalmannschaft trotzdem die Gelbe Karte. Das ist folgenlos und lässt sich verschmerzen. Oliver Roggisch hebt den Daumen in Richtung der Unparteiischen und lobt sie so für ihre nach seiner Meinung umsichtige Entscheidung. „Meine Aufgabe ist es, die Abwehr zusammenzuhalten“, sagt Oliver Roggisch so kompromisslos wie er agiert.

Doch der Kreisläufer, der früher einmal Rückraumspieler war, hat sich gewandelt. Seit er Kapitän der Nationalmannschaft ist, hat der manchmal ungelenke Haudrauf die Metamorphose zum spielenden Defensiv-Spezialist durchlaufen. Mit inzwischen 34 Jahren ist der Weltmeister von 2007 auf dem Handball-Parkett besser denn je. Bei der WM in Spanien verhindert der Profi von den Rhein-Neckar Löwen nicht nur Tore, sondern erzielt auch selbst welche. Nach sechs WM-Spielen lautete die nie dagewesene Bilanz des einstigen Strafminuten-Königs: Vier Zeitstrafen, vier Tore.

„Er ist tatsächlich der beste Oliver Roggisch, den wir bisher hatte. Er zeichnet sich durch eine hervorragende Beinarbeit aus und begeht wesentlich weniger Fouls. Er hat im hohen Alter noch einmal Fortschritte erzielt“, findet der frühere Bundestrainer Heiner Brand. „Was der hier abliefert...“, sagt sein Nachfolger Martin Heuberger mit einem ungläubigen Kopfschütteln. Der neue Bundestrainer fügt an: „Jetzt fängt er auch schon im Tempogegenstoß an. Das macht schon Spaß, wie der Olli sich hier präsentiert.“

Roggisch hat hart an sich gearbeitet. Durch veränderte Ernährung und bewussteres Training ist er athletischer geworden. Auf dem Spielfeld legt sich der einstige „Motzki“ nicht mehr wegen jeder Entscheidung mit den Schiedsrichtern an. „Er lässt das Lamentieren, Kommentieren der Schiedsrichterentscheidungen. Da hat er sich sehr gut eingestellt mittlerweile“, lobt der Bundestrainer den Wandel, „ich muss ihm wirklich ein großes Kompliment aussprechen, wie er hier erstens als Kapitän der Mannschaft agiert und vor allem wie er agiert auf dem Feld.“

Roggisch selbst, ganz Kapitän, gibt die Anerkennung an seine Teamkollegen weiter. „Ich profitiere natürlich auch davon, wenn die Jungs neben mir in der Abwehr Vollgas geben. In den letzten Jahren war es ja immer so, dass ich viele Zeitstrafen bekommen habe. Wenn die anderen ein bisschen zu passiv waren und man macht selber ein bisschen mehr, dann sieht es manchmal komisch aus. Jetzt ist es nicht so. Alle ziehen voll mit“, erklärt er seinen Wandel und ergänzt: „Ich mache das, was ich kann. Das sieht man an den Zeitstrafen, dass die weniger geworden sind. Dass ich jetzt noch ein paar Gegenstoßtore mache, soll man nicht überbewerten.“

Wesentlich dazu beigetragen hat auch Martin Heuberger. Lange hat er seinem Spielführer ins Gewissen geredet: Er soll das Motzen lassen, seine Nebenleute in der Abwehr anleiten und dirigieren und nicht immer ihre Fehler selbst korrigieren wollen. „Das ist ja das, was man ihm immer vorgeworfen hat, dass er auf zu vielen Baustellen unterwegs war. Auch das habe ich mit Olli intensivst besprochen. Er hat sich da wirklich am Riemen gerissen“, sagt der Bundestrainer. Und so setzt er weiter auf den Team-Senior, auch über die WM in Spanien hinaus: „Ich denke auch an die Quali-Spiele im April, da brauchen wir wieder einen frischen Olli.“