US-Talkerin Oprah Winfrey hat mit Ex-Radprofi Lance Armstrong einen Fragenkatalog zur Dopingkarriere des Texaners abgehandelt.

Austin/Hamburg. Vielleicht ist es ja bloß ein weiterer geschickter Marketingschachzug des Berufsradfahrers a. D. Lance Armstrong. Interesse zu wecken, das versteht der tief gefallene Sünder allemal. So umfangreich soll sein am Montag aufgezeichnetes Interview für die "Oprah Winfrey Show" in den USA ausgefallen sein, dass die Talkmasterin angekündigt hat, das 150-Minuten-Gespräch werde außerplanmäßig in zwei Teilen gesendet: am Donnerstag (Ortszeit) und Freitag.

"Bedächtig" habe Armstrong gesprochen und "ernst", sagte Winfrey. Und am Ende des Frage-Antwort-Spiels, nach zweieinhalb Stunden Einblick in seine Vergangenheit als Doper, "waren wir beide ziemlich erschöpft", verriet Winfrey ("Ich hatte 112 Fragen") am Dienstagmorgen dem Sender CBS.

So viel Tamtam war selten, wenn ein Sportheld sich der Kultmoderatorin offenbart. Zugleich war aber auch die Fallhöhe nie so hoch wie in der Causa Armstrong, dem seine vermeintlich märchenhafte Karriere nun auf die Füße fällt. Niemand mochte bis zuletzt ernsthaft glauben, der Texaner sei wirklich ohne unlautere Hilfsmittel und -methoden zum Seriensieger geworden, wie er es mehr als zehn Jahre lang stets vehement beteuert hatte.

Nun sind die ersten Details aus der Beichte bei Oprah Winfrey durchgesickert oder besser: lanciert worden - trotz Verschwiegenheitsverpflichtungen. So ist zu hören, Armstrong werde in dem Interview zugeben, schon Mitte der 90er-Jahre vor seiner Krebserkrankung mit dem Dopen begonnen zu haben. Die Zeitung "USA Today" berichtet unter Berufung auf eine anonyme Quelle, der Sportstar und seine Anwälte sprächen mit der US-Antidopingagentur Usada über "eine vollständige Vernehmung" über mehrere Tage.

Mit der Veröffentlichung ihres insgesamt rund 1000 Seiten starken Untersuchungsberichts hatte erst die unbeirrbare Usada Armstrong Mitte Oktober zu Fall gebracht, nachdem zuvor Ende August ein Zivilgericht den Fall ad acta gelegt hatte. In der Folge waren dem 2009 endgültig zurückgetretenen Radprofi alle sieben Siege bei der Tour de France aberkannt worden, er ist lebenslang gesperrt.

+++ Info: 13 Jahre Kampf gegen Dopingvorwürfe +++

Durch das zu erwartende öffentliche (Teil-)Geständnis drohen Armstrong seine Dopingverstrickungen aber juristisch einzuholen. An mehreren Fronten lauern Klagewillige oder Kläger, die vom millionenschweren Texaner Geld zurückzufordern gedenken. Unter ihnen ist die Versicherungsgesellschaft SCA Promotions, die nach einem Schiedsverfahren 2005 rund zwölf Millionen US-Dollar (etwa 9,3 Millionen Euro) Bonuszahlungen leisten musste, obwohl schon damals dringender Dopingverdacht bestand. Oder die "Sunday Times", die Armstrong auf Schadenersatz wegen Verleumdung verklagte, nachdem die Zeitung über dessen Dopingaktivitäten berichtet hatte (es geht jetzt um 1,5 Millionen Dollar). Und natürlich Floyd Landis.

Landis, 37, hatte mit seinen Dopinganschuldigungen gegen Armstrong und andere frühere Teamkollegen 2010 einen nachhaltigen Riss in die Mauer des Schweigens geschlagen. Bis zu diesem Donnerstag muss das US-Justizministerium entscheiden, ob der Staat dem Informanten als Kläger gegen Armstrong beispringt. Armstrong, so die Argumentation, soll im damaligen Team US Postal als Miteigentümer der Betreibergesellschaft die staatliche Post um 30 Millionen Dollar betrogen haben, indem er und die Teammanager missbräuchlich Sponsorengeld zu Dopingzwecken abzweigten. Kommt es nicht vorher zu einer außergerichtlichen Einigung zwischen Armstrong und - dem finanziell im Übrigen angeblich arg klammen - Landis, dürfte Klage erhoben werden. Schon soll Armstrong offeriert haben, einen Teil der Sponsorenmillionen freiwillig zurückzuzahlen.

+++ Kommentar: Armstrongs letzter Dienst +++

Was also ist Hintergrund der Strategie, via "Oprah Winfrey Show" das Schweigen zu beenden? "Er scheint darauf zu pokern, dass die Öffentlichkeit ihm am Ende vergeben wird und dass er seine Reputation und seine Verdienstmöglichkeiten wiederherstellen kann", mutmaßt der New Yorker Fachanwalt Brian Socolow in "USA Today".

Der Deutsche Jörg Jaksche, 36, sagte dem Abendblatt: "Armstrong denkt pragmatisch. Hätte er seine bisherige Schiene beibehalten, hätte er nur noch weiter verloren. Das hat er wohl eingesehen. Buhmann der Nation statt Celebrity? Das wollte er nicht." Jaksche selbst hatte seine Vergangenheit als Doper Ende Juni 2007 offenbart.

Jetzt sagt er: "Sollte Armstrong in dem Interview sagen, er habe niemanden gezwungen zu dopen, gebe ich ihm recht. Was er getan hat, haben andere auch getan, darunter ich. Er war der Konsequenteste. Ich war einfach nicht so talentiert wie er oder Jan Ullrich. Der Betrogene ist derjenige, der sich nicht diesem System unterwerfen wollte. Ich hingegen fühle mich von Lance Armstrong überhaupt nicht betrogen."

Doch statt zu Kreuze zu kriechen, scheint ein Gegenangriff Armstrongs wahrscheinlicher. Die "New York Times" berichtet, der Krebsaktivist plane, gegen "mehrere mächtige Menschen im Radsport auszusagen, die über sein Doping wussten und ihn möglicherweise unterstützten". Das dürfte besonders Funktionäre des Weltverbandes UCI betreffen, der Armstrong jahrelang hofiert hatte.

Was und wie tief greifend Lance Armstrong auspackt, wird alle Welt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag hören - in Deutschland auf dem über Sky empfangbaren Discovery Channel.