Mit zwei WM-Titeln im Rücken kämpft sich der Ukrainer selbstsicher seinem letzten Ziel entgegen: Champion des Volkes zu werden.

Hamburg. Pressegespräche mit Wladimir Klitschko können manchmal anstrengend sein. In den vielen Jahren, die der Schwergewichts-Weltmeister als Spitzenathlet seines Sports mit Journalisten aus aller Welt verbracht hat, hat er gelernt, wie ein Politiker wenig Gehaltvolles in viele blumige Worte zu verpacken. Doch was der 33 Jahre alte Ukrainer Anfang Juni in seinem Trainingslager im Tiroler Promi-Hotel Stanglwirt 16 britischen Medienvertretern in die Blöcke und Mikrofone diktierte, ließ selbst langjährige Begleiter aufhorchen. "Ich habe im Ring alles erlebt, was man erleben kann, alle Höhen und Tiefen", sagte Klitschko, "deshalb bin ich mir sicher, dass ich nie mehr verlieren werde."

Nun muss man dem Weltmeister der Verbände IBF und WBO zugute halten, dass er diesen Satz in der Annahme sagte, an diesem Sonnabend in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen auf David Haye zu treffen, einen großmäuligen Briten, der seinen Bruder Vitali (37) und ihn mit einem T-Shirt schwer beleidigt hatte, auf dem er die abgeschlagenen Köpfe der Klitschko-Brüder in Händen hält. Klitschko wollte den Journalisten aus Hayes Heimat grenzenlose Selbstsicherheit vermitteln. Dann jedoch sagte Haye wegen Rückenproblemen ab, und als Ersatzgegner wurde der Usbeke Ruslan Chagaev (30) verpflichtet, seinerseits Weltmeister des Verbands WBA und laut Klitschko "der stärkste Gegner außer meinem Bruder, den ich überhaupt bekommen kann".

Den Satz vom "nie mehr verlieren" hätte der Zweimeter-Hüne aber auch gesagt, wäre Chagaev von vornherein der Gegner gewesen. Die Selbstsicherheit, die er ausstrahlt, ist nicht von der Gegnerwahl abhängig, sondern aus dem Gefühl gespeist, tatsächlich der beste Schwergewichtsboxer der Welt zu sein. Wer immer in den vergangenen drei Jahren, seit Klitschko wieder Champion ist, gegen ihn antrat, spuckte vorher große Worte - und nachher meist Blut. Der Sieger hieß am Ende immer Klitschko.

Trotzdem sind es besonders die Niederlagen, die den Weltbürger, der Wohnungen in London, New York, Las Vegas und Kiew besitzt, seinen Hauptwohnsitz jedoch weiterhin in Hamburg hat, geprägt haben. Schon einmal hatte er sich unbesiegbar gefühlt, besser als alle anderen. Und dann kam im März 2003 ein unbekannter Südafrikaner namens Corrie Sanders nach Hannover, schickte den indisponierten Klitschko viermal zu Boden und nahm nach nicht einmal zwei Runden dessen WBO-WM-Gürtel mit nach Hause. "Diese Niederlage war ein Schock, aber sie war heilsam. Ich werde nie wieder einen Gegner unterschätzen", sagt Klitschko heute, und wer sieht, wie akribisch der Champion sich, im Gegensatz zu damals, um seinen Hauptberuf kümmert, der glaubt ihm diese Aussage.

Es gibt nicht wenige Experten, die dem technisch perfekt ausgebildeten Chagaev zutrauen, den Favoriten mit seinem linken Kopfhaken zu überraschen und die noch immer in Zweifel gezogenen Nehmerfähigkeiten Klitschkos einer harten Prüfung zu unterziehen. Dass dieser mit nur 14 Tagen Vorbereitungszeit dem Wechsel von Normalausleger Haye zu Rechtsausleger Chagaev zustimmte, hat viele überrascht. Mutig war die Entscheidung allemal, ebenso logisch war sie auch, denn es sind nur Kämpfe gegen die bestmöglichen Gegner, die Klitschko zur Höchstleistung treiben können. "Ich merke, dass ich in meinen besten Jahren bin. Wenn ich mich mit der Zeit Mitte zwanzig vergleiche, dann muss ich sagen: Damals war ich schwach", sagt er.

Klitschko weiß aber auch, dass er Kämpfe wie den mit Chagaev aus einem anderen Grund benötigt. Den sportlichen Lebenstraum, gemeinsam mit Bruder Vitali, der den Titel des WBC hält, Weltmeister zu sein, hat er sich längst erfüllt. Besiegt er auch Chagaev, sind alle vier bedeutenden WM-Titel in Familienbesitz und keine Gegner mehr in Sicht, die ihm gefährlich werden könnten. Die derzeitige Schwäche der Königsklasse, die auch der letzte Topstar Lennox Lewis bemängelt ("Ich war der letzte echte Champion"), kann man Klitschko nicht anlasten. Eine Sehnsucht ist jedoch noch ungestillt: die nach dem Titel "Champion des Volkes".

"Das Volk bestimmt seinen König", sagt Klitschko gern. Dass 60 000 deutsche Fans in der Arena und erwartete zehn Millionen am TV den Kampf gegen Chagaev anschauen werden, mag ein deutliches Zeichen der bevorstehenden Krönung sein. Doch obwohl der sprachgewandte Doktor der Sportwissenschaft, der sich vorbildlich in diversen sozialen Projekten engagiert, stets versucht, es allen recht zu machen, weiß er auch, dass er polarisiert. Auf viele Menschen wirkt er nicht mehr authentisch, gerade weil er in Hamburg "Moin Moin" sagt und auf Schalke "Glückauf". Er ist ein Verkäufer seiner eigenen Person, und das nicht erst, seit er sich mit Vitali im Frühjahr 2004 vom Hamburger Universum-Stall lossagte und in Eigenregie mit der in Ottensen ansässigen Klitschko Management Group vermarktet.

Was Klitschko braucht, ist eine siegreiche Schlacht gegen einen starken Gegner, nach der die Menschen sagen: "Das ist wirklich der stärkste Schwergewichtler der Welt!" Einfach nur nicht mehr verlieren ist für einen wie ihn nicht mehr genug.