Am Sonnabend boxt Wladimir Klitschko gegen Ruslan Chagaev. Doch so viele Fans wie einst Max Schmeling kann der Boxer nicht mobilisieren.

Hamburg. 55 Profikämpfe hat der ukrainische Schwergewichtler Wladimir Klitschko in seiner Karriere bislang bestritten. Doch wenn der 33-Jährige am Sonnabend (22 Uhr, RTL live) zum 56. Mal in den Ring steigt, um seine WM-Titel der Verbände WBO und IBF gegen den Usbeken Ruslan Chagaev zu verteidigen, wird er eine neue Erfahrung machen. 61 000 Zuschauer werden in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen live dabei sein, wenn Klitschko zum ersten Mal in Deutschland in einem Stadion boxt. "Vor so einer Kulisse zu kämpfen ist sehr beeindruckend. Ich werde die Atmosphäre einsaugen", sagt Klitschko.


Kurios genug ist, dass ein Kampf zwischen zwei in Hamburg lebenden Osteuropäern für die größte Boxkulisse in Nachkriegs-Deutschland sorgt. An das, was am 26. August 1934 in Lokstedt passierte, reicht der "Knockout auf Schalke" jedoch nicht heran. 102 000 Menschen - bis heute Europarekord - strömten damals auf die für Motocross-Rennen genutzte Dirttrack-Bahn in der preußischen Großgemeinde, die 1937 zu Hamburg kam. Sie wollten ihrem Idol Max Schmeling im Schwergewichts-Kampf gegen Walter Neusel zum Sieg verhelfen. Dieser gelang in Runde neun durch K. o. Umso bitterer war dann, dass der am 2. Februar 2005 verstorbene Sportler am 23. Mai 1948, fünf Monate vor seinem Karriereende, in Altona die Revanche gegen Neusel nach Punkten verlor.

Deutschland kann auch auf eine Reihe von Kämpfen in großen Stadien zurückschauen. Am 23. Juni 1962 wurden 45 000 Besucher im Olympiastadion von Berlin Zeuge des vergeblichen Anlaufs ihres Idols Gustav "Bubi" Scholz auf den WM-Titel im Halbschwergewicht. Scholz unterlag dem US-Amerikaner Harold Johnson nach 15 Runden einstimmig nach Punkten. Ein Höhepunkt war auch der Auftritt von Schwergewichts-Weltmeister Muhammad Ali. "The Greatest" besiegte am 10. September 1966 bei seinem ersten von zwei Deutschland-Kämpfen Karl Mildenberger vor 35 000 Fans im Frankfurter Waldstadion durch technischen K. o. in Runde zwölf.

Der bislang letzte Stadion-Kampf in Deutschland fand in Hamburg statt. Am 10. August 1996 verteidigte Halbschwergewichts-Weltmeister Dariusz Michalczewski seinen WBO-Titel am Millerntor nur dadurch gegen Graciano Rocchigiani, weil dieser in Runde sieben wegen Tiefschlags disqualifiziert wurde. "Rockys" anschließende Schimpf-Kanonade ("Schweine, Betrüger!") ist seitdem Legende.

Der weltweit wohl berühmteste Kampf in einer Freiluft-Arena ist das "Rumble in the Jungle" genannte Duell zwischen Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974 im Nationalstadion von Kinshasa (früher Zaire, heute Demokratische Republik Kongo), das Ali gegen den bis dato unbesiegten WBA- und WBC-Weltmeister durch K. o. in Runde acht sensationell gewann. Die Zuschauerzahl ist nicht genau bekannt, wird aber mit knapp 100 000 angegeben.

Fakt ist: An den Zuschauer-Weltrekord reicht sie bei weitem nicht heran. 135 132 Menschen versammelten sich am 16. August 1941 im Juneau Park von Milwaukee (Wisconsin), um Mittelgewichtler Tony Zale gegen seinen US-Landsmann Billy Pryor boxen zu sehen. In dem auf zehn Runden angesetzten Duell ging es um keinen Titel, der "Mann aus Stahl" genannte Zale siegte durch K. o. in Runde neun. Die größte Kulisse bei einem WM-Kampf gab es am 20. Februar 1993 im Azteken-Stadion von Mexiko-Stadt, als Volksheld Julio Cesar Chavez seinen WBC-Titel im Halbweltergewicht vor 132 247 Fans durch technischen K. o. in Runde fünf gegen Greg Haugen (USA) verteidigte.

Eins hat die große Mehrheit der Freiluft-Kämpfe gemein: Die besondere Atmosphäre beflügelte die Athleten zu besonderen Leistungen. Und wenn es am Sonnabend regnen sollte und das Dach der Arena geschlossen werden müsste, könnte es gar einen neuen Superlativ geben. 60 000 Zuschauer in einer Halle gab es beim Boxen noch nie.