Schrecksekunde für Roger Federer: Erst wurde der Schweizer während des Finales der French Open angegriffen. Dann siegte er.

Paris. Den 15.000 Zuschauern im Stade Roland Garros stockte der Atem: Der ungewöhnliche Auftritt eines Tenniszuschauers sorgte im Finale der French Open zwischen dem Schweizer Roger Federer und Robin Söderling aus Schweden für eine Schrecksekunde. Der Mann stürmte zu Beginn des zweiten Satzes auf den Court, rannte auf Federer zu und versuchte dem flüchtenden Weltranglistenzweiten eine rote Mütze über den Kopf zu ziehen.

Vor den heraneilenden Sicherheitskräften flüchtete der Mann und konnte erst auf der anderen Seite des Platzes überwältigt werden. Der Auftritt weckte ungute Erinnerungen an das Attentat auf Monica Seles 1993 am Hamburger Rothenbaum.

Der Störenfried hatte unter dem Namen „Jimmy Jump“ bereits in der Vergangenheit mehrfach bei Sportveranstaltungen für Unruhe gesorgt. So flitzte der Immobilienmakler aus Spanien, der mit bürgerlichem Namen Jaume Marquet Cot heißt, unter anderem beim Halbfinale der Fußball-EM 2008 zwischen Deutschland und der Türkei aufs Feld oder beim Formel-1-Rennen in Barcelona 2004 während des Qualifyings über die Zielgerade.

Am Ende des Finales schrieb Federer Tennisgeschichte. Mit seinem ersten Triumph bei den French Open schrieb der 27 Jahre alte Schweizer sich endgültig auf Seite eins im großen Buch der Tennis-Geschichte ein. „Das ist unbeschreiblich, ich habe kaum Worte dafür. Das ist vielleicht mein größter Sieg, der Druck ist endlich weg“, sagte Federer nach dem sporthistorischen Augenblick.

Der Ausnahme-Athlet erfüllte sich durch das 6:1, 7:6 (7:1), 6:4 im Endspiel gegen den Schweden Robin Söderling seinen jahrelangen Traum und krönte sich mit 14 Titeln bei allen vier Grand-Slam-Turnieren zum größten Tennisspieler, der jemals die Plätze dieser Welt betreten hat. Nach 1:55 Stunden auf dem Center Court von Paris egalisierte Federer den Grand-Slam-Rekord von Pete Sampras.

„Das Schicksal hält ihm die Hand“, hatte die französische Sportzeitung „L’Équipe“ getitelt – und Federer griff bei seiner elften French-Open-Teilnahme zu. Die drei Final-Niederlagen gegen Rafael Nadal in den Jahren 2006, 2007 und 2008: vergessen; der mühsame Weg ins Endspiel mit zwei Fünf-Satz-Thrillern: abgehakt. Nach fünf Wimbledon-, fünf US-Open- und drei Australian-Open-Triumphen hat er nun als sechster Spieler Eingang gefunden in den exklusiven Zirkel derjenigen, die sich bei allen Grand-Slam-Turnieren in die Siegerlisten eingetragen haben. Vor ihm war dies nur Andre Agassi, Donald Budge, Roy Emerson, Rod Laver und Fred Perry gelungen.

Als Federer um 15.03 Uhr den Court Philippe Chatrier betrat, lag eine Stimmung in der Luft, die schwer zu fassen war. Die einen sehnten still und ehrfürchtig diesen magischen Moment herbei, die anderen feierten den Schweizer mit „Allez, Roger“-Rufen und „Roger, Roger“-Sprechchören bereits wie einen Champion. Als exakt zehn Minuten später der erste Punkt dieses denkwürdigen Finales gespielt, eine Rückhand Söderlings im Aus gelandet und Federer das 15:0 gelungen war, jubelten die Menschen wie nach dem Matchball.

„Er hat es mehr als jeder andere verdient, es wird sein Leben verändern“, hatte Andre Agassi tags zuvor noch gesagt. Es ist genau zehn Jahre her, dass der Ehemann von Steffi Graf ebenfalls in Paris das letzte Puzzleteil seiner Karriere einsetzte und erstmals die French Open gewann – übrigens auch beim elften Versuch.

Die 15 000 Menschen auf der Tribüne des Center Courts sahen kein hochklassiges und auch kein spannendes Match. Dafür war Federer zu überlegen, zu konstant und zu elegant. Und dafür war vor allem Söderling („Er hat mir eine Trainerstunde gegeben“), der im Achtelfinale noch völlig überraschend den viermaligen Champion Nadal aus dem Wettbewerb geworfen hatte und das Turnier seines Lebens spielte, zu schwach. Seine gefürchteten Aufschläge kamen selten. Wenn sich einmal ein längerer Ballwechsel entwickelte, machte der 24 Jahre alte Schwede am Ende den Fehler. Nach nur 23 Minuten ballte Federer beim Satzgewinn kurz die Faust.

Den Tiebreak dominierte er humorlos und auch der nun einsetzende Nieselregen ließ ihn auf dem roten Ziegelmehl nicht schlingern. Nach nicht einmal zwei Stunden nutzte er seinen ersten Matchball und legte im Regen von Paris das Trauma von Roland Garros ab.