Statt sich nach einer grandiosen Saison auf die verdiente Winterpause zu freuen, musste sich Sebastian Vettel nach Platz zwei in Sao Paulo erst noch über einen bösen Verdacht ärgern. Einige Leute glaubten, er habe den Gebtriebeschaden nur simuliert, um Mark Webber den Sieg zu schenken.

Sao Paulo. Als er der Schauspielerei und Schummelei bezichtet wurde, klappte Sebastian Vettel die Kinnlade herunter. Der Weltmeister lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musste kurz Luft holen, bevor er mit weit aufgerissenen Augen energisch und bestimmt versicherte: „Ich kann ihnen sagen, ich hatte ein Getriebeproblem!“

Wie 20 Jahre zuvor der legendäre Brasilianer Ayrton Senna bei seinem ersten Heimsieg an gleicher Stelle hatte der überlegene Weltmeister sein Auto trotz der Getriebeprobleme bis ins Ziel gebracht. Dass dadurch ausgerechnet sein Teamkollege Mark Webber seinen einzigen Sieg der Saison „abstaubte“, rief bei einigen Beobachtern aber sofort den Verschwörungs-Reflex hervor.

Vor allem die Gazetten in Italien warfen Vettel und seinem Red-Bull-Team Mauschelei vor. „Sie reden von Problemen mit der Schaltung, doch dahinter steckt eine Stallorder. Kannibale Vettel macht seinem Teamkollegen Webber ein Geschenk und lässt ihm den letzten Krümel eines riesigen Festmahls“, titelte der Corriere della Sera. La Repubblica stieß ins gleiche Horn: „Vettel ist ein Monster-Pilot, über seine Cleverness lässt sich manchmal streiten. Rennstall-Richtlinien sind allgemein akzeptiert, doch Vettel sollte nicht stundenlang seine Schaltung verteufeln.“

Genau wie Vettel wies aber auch Teamchef Christian Horner diese Theorien, „die irgendwelche Leute immer haben werden“, kategorisch zurück. „Wie zum Himmel dieses Getriebe bis zum Ende gehalten hat, ist für mich zu hoch. Wenn jemand glaubt, dass wir etwas zusammengebraut hätten, kann ich nur mit der Hand auf dem Herzen sagen: Wir hatten ein großes Problem, allein schon gemessen an meinem Blutdruck an der Boxenmauer.“

Vettel selbst versuchte zu erklären, wie er trotz der Probleme, die mit längerer Dauer des Rennens immer stärker wurden, sein Tempo so halten konnte, dass er außer Webber niemand anderes vorbeilassen musste und am Ende Zweiter wurde. „Ich habe da gepusht, wo ich konnte, in den Kurven. Aber sobald ich auf den Geraden war, musste ich früher hochschalten“, sagte er. Horner erklärte, dass man versucht habe, die Zahl der Schaltmanöver so gering wie möglich zu halten.

In Schutz genommen wurde Vettel, der am Abend noch mit seinem Team in Sao Paulo seine überragende Saison feierte, auch von Vize-Weltmeister Jenson Button, der ihn trotz der Getriebeprobleme nicht einholen konnte und am Ende Dritter wurde. „Ich kann das ja nur von außen beurteilen. Aber als Fahrer lernt man, sich an Situationen anzupassen. Wenn du Benzin sparen oder die Bremsen schonen sollst, stellst du dich darauf ein und fährst anders. Wir mussten in diesem Jahr sehr oft Sprit sparen und nach fünf, sechs Runden kann man ganz gute Rundenzeiten hinbekommen“, meinte der britische McLaren-Pilot: „Dafür werden wir schließlich bezahlt.“

Ähnlich sahen es auch die Zeitungen in Buttons Heimat. „Es gab dunkle Gerüchte im Fahrerlager, es sei als Dank für den Australier vom Team inszeniert gewesen - aber das ist weit entfernt von der Wahrheit“, schrieb der Mirror. Und die Sun brachte es auf den Punkt: „Um ehrlich zu sein, das war eine wahrhaft meisterliche Fahrt von Vettel, der das Auto trotz der Getriebeprobleme auf Platz zwei gefahren hat.“

Wie einst Senna, dessen Heldentat 1991 Vettel, der damals nicht einmal vier Jahre alt war, erst kürzlich im Senna-Film mächtig beeindruckt hatte. Der dreimalige Weltmeister war damals völlig erschöpft aus dem Auto gezogen worden. Vettel hatte aber noch einen Unterschied ausgemacht: „Er hat das Rennen damals gewonnen.“

Vettel: "Es war ein phänomenales Jahr"

Nach dem zweiten Platz beim Saisonfinale in Brasilien hielt sich die Enttäuschung bei Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel in Grenzen. Der 24-Jährige hatte in Sao Paulo mit Getriebeproblemen zu kämpfen, sprach nach dem 19. und letzten WM-Rennen aber von einer fantastischen Saison und einem verdienten Sieg seines Red-Bull-Teamkollegen Mark Webber.

Sie haben sich während des Rennens mit Ayrton Senna 1991 verglichen. Wie war das für Sie?

Sebastian Vettel: Das stimmt, nur mit dem Unterschied, dass Senna das Rennen damals gewonnen hat. Ich hatte einen guten Start und ein gutes Gefühl. Ich konnte schnell eine große Lücke herausfahren, hatte aber auch schnell das Getriebeproblem. Ich musste anders schalten, das war schwer während des Rennens.

War es nicht Pech, dass es heute nicht zu einem Sieg gereicht hat?

Sebastian Vettel: Nein, Mark ist ein fantastisches Rennen gefahren und hat den Sieg verdient. Ich würde das jetzt nicht Pech nennen. Ich habe trotz des Getriebeschadens mein Bestes gegeben. Es wäre nicht angemessen, wenn ich mich jetzt ärgern würde. Es war ein phänomenales Jahr. Ich bin jetzt bereit für die Winterpause. Ich freue mich drauf, die Batterien aufladen zu können. Hoffentlich kommen wir in der neuen Saison genauso stark wieder.

Beschreiben Sie mal, wie die Saison für sie gelaufen ist.

Sebastian Vettel: Haben Sie eine Stunde? Es ist schwierig, das kurz zusammenzufassen. Es war ein tolles Ende mit dem Doppelsieg. Ich hatte eine unglaubliche Saison. Am Anfang dachten wir, dass wir ein konkurrenzfähiges Auto haben und vielleicht das ein oder andere Rennen gewinnen können. Mein Team hat praktisch keine Fehler gemacht. Wir haben ein tolles Niveau bei allen Rennen gehalten, besonders im Vergleich zu den beiden Saisons davor.

Was ist das Besondere am Red-Bull-Team?

Sebastian Vettel: Es macht einfach Spaß, in die Box zu kommen. Die Techniker haben immer ein Lächeln im Gesicht. Das kennt ja jeder: Wenn die Arbeit Spaß macht, dann ist alles einfach. Selbst als Gast erkennt man, dass wir Spaß haben. Da ist auch soviel Leidenschaft, wenn bis spät in die Nacht gearbeitet wird. Und die Belohnung am Ende war Saison natürlich zuckersüß. Danke an alle vom Team an der Strecke und auch in der Fabrik.